Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
Vom Netzwerk:
Baum, Staude, Berg und Gewässer objektivirt, zu möglichst reinem Ausdruck dieser seiner Ideen, also seines eigenen Wesens, gebracht. In den Französischen Gärten hingegen spiegelt sich nur der Wille des Besitzers, welcher die Natur unterjocht hat, so daß sie, statt ihrer Ideen, die ihm entsprechenden, ihr aufgezwungenen Formen, als Abzeichen ihrer Sklaverei, trägt: geschorene Hecken, in allerhand Gestalten geschnittene Bäume, gerade Alleen, Bogengänge u.s.w.

Kapitel 34.Ueber das innere Wesen der Kunst

    Nicht bloß die Philosophie, sondern auch die schönen Künste arbeiten im Grunde darauf hin, das Problem des Daseyns zu lösen. Denn in jedem Geiste, der sich ein Mal der rein objektiven Betrachtung der Welt hingiebt, ist, wie versteckt und unbewußt es auch seyn mag, ein Streben rege geworden, das wahre Wesen der Dinge, des Lebens, des Daseyns, zu erfassen. Denn Dieses allein hat Interesse für den Intellekt als solchen, d.h. für das von den Zwecken des Willens frei gewordene, also reine Subjekt des Erkennens; wie für das als bloßes Individuum erkennende Subjekt die Zwecke des Willens allein Interesse haben. – Dieserhalb ist das Ergebniß jeder rein objektiven, also auch jeder künstlerischen Auffassung der Dinge ein Ausdruck mehr vom Wesen des Lebens und Daseyns, eine Antwort mehr auf die Frage: »Was ist das Leben?« – Diese Frage beantwortet jedes ächte und gelungene Kunstwerk, auf seine Weise, völlig richtig. Allein die Künste reden sämmtlich nur die naive und kindliche Sprache der Anschauung , nicht die abstrakte und ernste der Reflexion : ihre Antwort ist daher ein flüchtiges Bild; nicht eine bleibende allgemeine Erkenntniß. Also für die Anschauung beantwortet jedes Kunstwerk jene Frage, jedes Gemälde, jede Statue, jedes Gedicht, jede Scene auf der Bühne: auch die Musik beantwortet sie; und zwar tiefer als alle andern, indem sie, in einer ganz unmittelbar verständlichen Sprache, die jedoch in die der Vernunft nicht übersetzbar ist, das Innerste Wesen alles Lebens und Daseyns ausspricht. Die übrigen Künste also halten sämmtlich dem Frager ein anschauliches Bild vor und sagen: »Siehe hier, das ist das Leben!« – Ihre Antwort, so richtig sie auch seyn mag, wird jedoch immer nur eine einstweilige, nicht eine gänzliche und finale Befriedigung gewähren. Denn sie geben immer nur ein Fragment, ein Beispiel statt der Regel, nicht das Ganze, als welches nur in der Allgemeinheit des Begriffes gegeben werden kann. Für diesen daher, also für die Reflexion und in abstracto , eine eben deshalb bleibende und auf immer genügende Beantwortung jener Frage zu geben, – ist die Aufgabe der Philosophie. Inzwischen sehn wir hier, worauf die Verwandtschaft der Philosophie mit den schönen Künsten beruht, und können daraus abnehmen, inwiefern auch die Fähigkeit zu Beiden, wiewohl in ihrer Richtung und im Sekundären sehr verschieden, doch in der Wurzel die selbe ist.
    Jedes Kunstwerk ist demgemäß eigentlich bemüht, uns das Leben und die Dinge so zu zeigen, wie sie in Wahrheit sind, aber, durch den Nebel objektiver und subjektiver Zufälligkeiten hindurch, nicht von Jedem unmittelbar erfaßt werden können. Diesen Nebel nimmt die Kunst hinweg.
    Die Werke der Dichter, Bildner und darstellenden Künstler überhaupt enthalten anerkanntermaaßen einen Schatz tiefer Weisheit: eben weil aus ihnen die Weisheit der Natur der Dinge selbst redet, deren Aussagen sie bloß durch Verdeutlichung und reinere Wiederholung verdolmetschen. Deshalb muß aber freilich auch Jeder, der das Gedicht liest, oder das Kunstwerk betrachtet, aus eigenen Mitteln beitragen, jene Weisheit zu Tage zu fördern: folglich faßt er nur so viel davon, als seine Fähigkeit und seine Bildung zuläßt; wie ins tiefe Meer jeder Schiffer sein Senkblei so tief hinabläßt, als dessen Länge reicht. Vor ein Bild hat Jeder sich hinzustellen, wie vor einen Fürsten, abwartend, ob und was es zu ihm sprechen werde; und, wie jenen, auch dieses nicht selbst anzureden: denn da würde er nur sich selbst vernehmen. – Dem Allen zufolge ist in den Werken der darstellenden Künste zwar alle Weisheit enthalten, jedoch nur virtualiter oder implicite : hingegen dieselbe actualiter und explicite zu liefern ist die Philosophie bemüht, welche in diesem Sinne sich zu jenen verhält, wie der Wein zu den Trauben. Was sie zu liefern verspricht, wäre gleichsam ein schon realisirter und baarer Gewinn, ein fester und bleibender Besitz; während der aus den

Weitere Kostenlose Bücher