Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Leistungen und Werken der Kunst hervorgehende nur ein stets neu zu erzeugender ist. Dafür aber macht sie nicht bloß an Den, der ihre Werke schaffen, sondern auch an Den, der sie genießen soll, abschreckende, schwer zu erfüllende Anforderungen. Daher bleibt ihr Publikum klein, während das der Künste groß ist. –
Die oben zum Genuß eines Kunstwerks verlangte Mitwirkung des Beschauers beruht zum Theil darauf, daß jedes Kunstwerk nur durch das Medium der Phantasie wirken kann, daher es diese anregen muß und sie nie aus dem Spiel gelassen werden und unthätig bleiben darf. Dies ist eine Bedingung der ästhetischen Wirkung und daher ein Grundgesetz aller schönen Künste. Aus demselben aber folgt, daß, durch das Kunstwerk, nicht Alles geradezu den Sinnen gegeben werden darf, vielmehr nur so viel, als erfordert ist, die Phantasie auf den rechten Weg zu leiten: ihr muß immer noch etwas und zwar das Letzte zu thun übrig bleiben. Muß doch sogar der Schriftsteller stets dem Leser noch etwas zu denken übrig lassen; da Voltaire sehr richtig gesagt hat: Le secret d'être ennuyeux, c'est de tout dire . In der Kunst aber ist überdies das Allerbeste zu geistig, um geradezu den Sinnen gegeben zu werden: es muß in der Phantasie des Beschauers geboren, wiewohl durch das Kunstwerk erzeugt werden. Hierauf beruht es, daß die Skitzen großer Meister oft mehr wirken, als ihre ausgemalten Bilder; wozu freilich noch der andere Vortheil beiträgt, daß sie, aus einem Guß, im Augenblick der Konception vollendet sind; während das ausgeführte Gemälde, da die Begeisterung doch nicht bis zu seiner Vollendung anhalten kann, nur unter fortgesetzter Bemühung, mittelst kluger Ueberlegung und beharrlicher Absichtlichkeit zu Stande kommt. – Aus dem in Rede stehenden ästhetischen Grundgesetze wird ferner auch erklärlich, warum Wachsfiguren , obgleich gerade in ihnen die Nachahmung der Natur den höchsten Grad erreichen kann, nie eine ästhetische Wirkung hervorbringen und daher nicht eigentliche Werke der schönen Kunst sind. Denn sie lassen der Phantasie nichts zu thun übrig. Die Skulptur nämlich giebt die bloße Form, ohne die Farbe; die Malerei giebt die Farbe, aber den bloßen Schein der Form: Beide also wenden sich an die Phantasie des Beschauers. Die Wachsfigur hingegen giebt Alles, Form und Farbe zugleich; woraus der Schein der Wirklichkeit entsteht und die Phantasie aus dem Spiele bleibt. – Dagegen wendet die Poesie sich sogar allein an die Phantasie, welche sie mittelst bloßer Worte in Thätigkeit versetzt. –
Ein willkürliches Spielen mit den Mitteln der Kunst, ohne eigentliche Kenntniß des Zweckes, ist, in jeder, der Grundcharakter der Pfuscherei. Ein solches zeigt sich in den nichts tragenden Stützen, den zwecklosen Voluten, Bauschungen und Vorsprüngen schlechter Architektur, in den nichtssagenden Läufen und Figuren, nebst dem zwecklosen Lerm schlechter Musik, im Klingklang der Reime sinnarmer Gedichte, u.s.w.-
In Folge der vorhergegangenen Kapitel und meiner ganzen Ansicht von der Kunst, ist ihr Zweck die Erleichterung der Erkenntniß der Ideen der Welt (im Platonischen Sinn, dem einzigen, den ich für das Wort Idee anerkenne). Die Ideen aber sind wesentlich ein Anschauliches und daher, in seinen nähern Bestimmungen, Unerschöpfliches. Die Mittheilung eines solchen kann daher nur auf dem Wege der Anschauung geschehn, welches der der Kunst ist. Wer also von der Auffassung einer Idee erfüllt ist, ist gerechtfertigt, wenn er die Kunst zum Medium seiner Mittheilung wählt. – Der bloße Begriff hingegen ist ein vollkommen Bestimmbares, daher zu Erschöpfendes, deutlich Gedachtes, welches sich, seinem ganzen Inhalt nach, durch Worte, kalt und nüchtern mittheilen läßt. Ein Solches nun aber durch ein Kunstwerk mittheilen zu wollen, ist ein sehr unnützer Umweg, ja, gehört zu dem eben gerügten Spielen mit den Mitteln der Kunst, ohne Kenntniß des Zwecks. Daher ist ein Kunstwerk, dessen Konception aus bloßen deutlichen Begriffen hervorgegangen, allemal ein unächtes. Wenn wir nun, bei Betrachtung eines Werkes der bildenden Kunst, oder beim Lesen einer Dichtung, oder beim Anhören einer Musik (die etwas Bestimmtes zu schildern bezweckt), durch alle die reichen Kunstmittel hindurch, den deutlichen, begränzten, kalten, nüchternen Begriff durchschimmern und am Ende hervortreten sehn, welcher der Kern dieses Werkes war, dessen ganze Konception mithin nur im deutlichen Denken desselben bestanden hat und
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