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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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Denn zwischen der Säulenreihe und der schlichten Mauer sind viele Zwischenstufen. Schon auf der bloß zu Fenstern und Thüren durchbrochenen Mauer eines Hauses sucht man jene Sonderung wenigstens anzudeuten, durch flache hervortretende Pilaster (Anten) mit Kapitellen, welche man dem Gesimse unterschiebt, ja, im Nothfall, sie durch bloße Malerei darstellt, um doch irgendwie das Gebälk und eine Säulenordnung zu bezeichnen. Wirkliche Pfeiler, auch Konsolen und Stützen mancherlei Art, realisiren schon mehr jene von der Baukunst durchgängig angestrebte reine Sonderung der Stütze und Last. In Hinsicht auf dieselbe steht der Säule mit dem Gebälke zunächst, aber als eigenthümliche, nicht diese nachahmende Konstruktion, das Gewölbe mit dem Pfeiler. Die ästhetische Wirkung Jener freilich erreichen Diese bei Weitem nicht; weil hier Stütze und Last noch nicht rein gesondert , sondern in einander übergehend verschmolzen sind. Im Gewölbe selbst ist jeder Stein zugleich Last und Stütze, und sogar die Pfeiler werden, zumal im Kreuzgewölbe, vom Druck entgegengesetzter Bögen, wenigstens für den Augenschein, in ihrer Lage erhalten; wie denn auch, eben dieses Seitendruckes wegen, nicht nur Gewölbe, sondern selbst bloße Bögen nicht auf Säulen ruhen sollen, sondern den massiveren, viereckigen Pfeiler verlangen. In der Säulenreihe allein ist die Sonderung vollständig, indem hier das Gebälk als reine Last, die Säule als reine Stütze auftritt. Demnach ist das Verhältniß der Kolonade zur schlichten Mauer dem zu vergleichen, welches zwischen einer in regelmäßigen Intervallen aufsteigenden Tonleiter und einem aus der selben Tiefe bis zur selben Höhe allmälig und ohne Abstufungen hinaufgehenden Tone wäre, der ein bloßes Geheul abgeben würde. Denn im Einen wie im Andern ist der Stoff der selbe, und nur aus der reinen Sonderung geht der mächtige Unterschied hervor.
    Der Last angemessen ist übrigens die Stütze nicht dann, wann sie solche zu tragen nur eben ausreicht; sondern wann sie dies so bequem und reichlich vermag, daß wir, beim ersten Anblick, darüber vollkommen beruhigt sind. Jedoch darf auch dieser Ueberschuß der Stütze einen gewissen Grad nicht übersteigen; da wir sonst Stütze ohne Last erblicken, welches dem ästhetischen Zweck entgegen ist. Zur Bestimmung jenes Grades haben die Alten, als Regulativ, die Linie des Gleichgewichts ersonnen, welche man erhält, indem man die Verjüngung, welche die Dicke der Säule von unten nach oben hat, fortsetzt, bis sie in einen spitzen Winkel ausläuft, wodurch die Säule zum Kegel wird: jetzt wird jeder beliebige Queer-Durchschnitt den untern Theil so stark lassen, daß er den abgeschnittenen oberen zu tragen hinreicht. Gewöhnlich aber wird mit zwanzigfacher Festigkeit gebaut, d.h. man legt jeder Stütze nur 1/20 dessen auf, was sie höchstens tragen könnte. – Ein lukulentes Beispiel von Last ohne Stütze bieten die, an den Ecken mancher, im geschmackvollen Stil der »Jetztzeit« erbauten Häuser hinausgeschobenen Erker dem Auge dar. Man sieht nicht was sie trägt: sie scheinen zu schweben und beunruhigen das Gemüth.
    Daß in Italien sogar die einfachsten und schmucklosesten Gebäude einen ästhetischen Eindruck machen, in Deutschland aber nicht, beruht hauptsächlich darauf, daß dort die Dächer sehr flach sind. Ein hohes Dach ist nämlich weder Stütze noch Last, denn seine beiden Hälften unterstützen sich gegenseitig, das Ganze aber hat kein seiner Ausdehnung entsprechendes Gewicht. Daher bietet es dem Auge eine ausgebreitete Masse dar, die dem ästhetischen Zwecke völlig fremd, bloß dem nützlichen dient, mithin jenen stört, dessen Thema immer nur Stütze und Last ist.
    Die Form der Säule hat ihren Grund allein darin, daß sie die einfachste und zweckmäßigste Stütze liefert. In der gewundenen Säule tritt die Zweckwidrigkeit wie absichtlich trotzend und daher unverschämt auf: deswegen bricht der gute Geschmack, beim ersten Anblick, den Stab über sie. Der viereckige Pfeiler hat, da die Diagonale die Seiten übertrifft, ungleiche Dimensionen der Dicke, die durch keinen Zweck motivirt, sondern durch die zufällig leichtere Ausführbarkeit veranlaßt sind: darum eben gefällt er uns so sehr viel weniger, als die Säule. Schon der sechs- oder achteckige Pfeiler ist gefälliger; weil er sich der runden Säule mehr nähert: denn die Form dieser allein ist ausschließlich durch den Zweck bestimmt. Dies ist sie nun aber auch in allen ihren

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