Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
demnach durch die Mittheilung desselben von Grund aus erschöpft ist; so empfinden wir Ekel und Unwillen: denn wir sehn uns getäuscht und um unsere Theilnahme und Aufmerksamkeit betrogen. Ganz befriedigt durch den Eindruck eines Kunstwerks sind wir nur dann, wann er etwas hinterläßt, das wir, bei allem Nachdenken darüber, nicht bis zur Deutlichkeit eines Begriffs herabziehn können. Das Merkmal jenes hybriden Ursprungs aus bloßen Begriffen ist, daß der Urheber eines Kunstwerks, ehe er an die Ausführung gieng, mit deutlichen Worten angeben konnte, was er darzustellen beabsichtigte: denn da wäre durch diese Worte selbst sein ganzer Zweck zu erreichen gewesen. Daher ist es ein so unwürdiges, wie albernes Unternehmen, wenn man, wie heut zu Tage öfter versucht worden, eine Dichtung Shakespeare's, oder Goethes, zurückführen will auf eine abstrakte Wahrheit, deren Mittheilung ihr Zweck gewesen wäre. Denken soll freilich der Künstler, bei der Anordnung seines Werkes; aber nur das Gedachte, was geschaut wurde ehe es gedacht war, hat nachmals, bei der Mittheilung, anregende Kraft und wird dadurch unvergänglich. – Hier wollen wir nun die Bemerkung nicht unterdrücken, daß allerdings die Werke aus einem Guß, wie die bereits erwähnte Skitze der Maler, welche in der Begeisterung der ersten Konception vollendet, und wie unbewußt hingezeichnet wird, desgleichen die Melodie, welche ohne alle Reflexion und völlig wie durch Eingebung kommt, endlich auch das eigentlich lyrische Gedicht, das bloße Lied, in welches die tief gefühlte Stimmung der Gegenwart und der Eindruck der Umgebung sich mit Worten, deren Silbenmaaße und Reime von selbst eintreffen, wie unwillkürlich ergießt, – daß, sage ich, diese Alle den großen Vorzug haben, das lautere Werk der Begeisterung des Augenblicks, der Inspiration, der freien Regung des Genius zu seyn, ohne alle Einmischung der Absichtlichkeit und Reflexion; daher sie eben durch und durch erfreulich und genießbar sind, ohne Schaale und Kern, und ihre Wirkung viel unfehlbarer ist, als die der größten Kunstwerke, von langsamer und überlegter Ausführung. An allen diesen nämlich, also an den großen historischen Gemälden, an den langen Epopöen, den großen Opern u.s.w. hat die Reflexion, die Absicht und durchdachte Wahl bedeutenden Antheil: Verstand, Technik und Routine müssen hier die Lücken ausfüllen, welche die geniale Konception und Begeisterung gelassen hat, und allerlei nothwendiges Nebenwerk muß, als Cäment der eigentlich allein ächten Glanzpartien, diese durchziehn. Hieraus ist es erklärlich, daß alle solche Werke, die vollkommensten Meisterstücke der allergrößten Meister (wie z.B. Hamlet, Faust, die Oper Don Juan) allein ausgenommen, einiges Schaales und Langweiliges unvermeidlich beigemischt enthalten, welches ihren Genuß in etwas verkümmert. Belege hiezu sind die Messiade, die Gerusalemme liberata , sogar Paradise lost und die Aeneide: macht doch schon Horaz die kühne Bemerkung: Quandoque dormitat bonus Homerus . Daß aber Dies sich so verhält ist eine Folge der Beschränkung menschlicher Kräfte überhaupt. –
Die Mutter der nützlichen Künste ist die Noth; die der schönen der Ueberfluß. Zum Vater haben jene den Verstand, diese das Genie, welches selbst eine Art Ueberfluß ist, nämlich der der Erkenntnißkraft über das zum Dienste des Willens erforderliche Maaß.
Kapitel 35.Zur Aesthetik der Architektur
In Gemäßheit der im Texte gegebenen Ableitung des rein Aesthetischen der Baukunst aus den untersten Stufen der Objektivation des Willens, oder der Natur, deren Ideen sie zu deutlicher Anschaulichkeit bringen will, ist das einzige und beständige Thema derselben Stütze und Last , und ihr Grundgesetz, daß keine Last ohne genügende Stütze, und keine Stütze ohne angemessene Last, mithin das Verhältniß dieser Beiden gerade das passende sei. Die reinste Ausführung dieses Themas ist Säule und Gebälk: daher ist die Säulenordnung gleichsam der Generalbaß der ganzen Architektur geworden. In Säule und Gebälk nämlich sind Stütze und Last vollkommen gesondert ; wodurch die gegenseitige Wirkung Beider und ihr Verhältniß zu einander augenfällig wird. Denn freilich enthält selbst jede schlichte Mauer schon Stütze und Last: allein hier sind Beide noch in einander verschmolzen. Alles ist hier Stütze und Alles Last: daher keine ästhetische Wirkung. Diese tritt erst durch die Sonderung ein und fällt dem Grade derselben gemäß aus.
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