Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
Vom Netzwerk:
hervorzubringen bezweckt, ist im letzten Grunde darauf zurückzuführen, daß er Das, was beim Sehn die bloße Empfindung ist, also die Affektion der Retina, d.i. die allein unmittelbar gegebene Wirkung, rein zu sondern versteht von ihrer Ursache , d.i. den Objekten der Außenwelt, deren Anschauung im Verstande allererst daraus entsteht; wodurch er, wenn die Technik hinzukommt, im Stande ist, die selbe Wirkung im Auge durch eine ganz andere Ursache, nämlich aufgetragene Farbenflecke, hervorzubringen, woraus dann im Verstande des Betrachters, durch die unausbleibliche Zurückführung auf die gewöhnliche Ursache, die nämliche Anschauung wieder entsteht. –
    Wenn man betrachtet, wie in jedem Menschengesicht etwas so ganz Ursprüngliches, so durchaus Originelles liegt und dasselbe eine Ganzheit zeigt, welche nur einer aus lauter nothwendigen Theilen bestehenden Einheit zukommen kann, vermöge welcher wir ein bekanntes Individuum, aus so vielen Tausenden, selbst nach langen Jahren wiedererkennen, obgleich die möglichen Verschiedenheiten menschlicher Gesichtszüge, zumal einer Rasse, innerhalb äußerst enger Gränzen liegen; so muß man bezweifeln, daß etwas von so wesentlicher Einheit und so großer Ursprünglichkeit je aus einer andern Quelle hervorgehn könne, als aus den geheimnißvollen Tiefen des Innern der Natur: daraus aber würde folgen, daß kein Künstler fähig seyn könne, die ursprüngliche Eigenthümlichkeit eines Menschengesichtes wirklich zu ersinnen, noch auch nur, sie aus Reminiscenzen naturgemäß zusammenzusetzen. Was er demnach in dieser Art zu Stande brächte, würde immer nur eine halbwahre, ja vielleicht eine unmögliche Zusammensetzung seyn: denn wie sollte er eine wirkliche physiognomische Einheit zusammensetzen, da ihm doch das Princip dieser Einheit eigentlich unbekannt ist? Danach muß man bei jedem von einem Künstler bloß ersonnenen Gesicht zweifeln, ob es in der That ein mögliches sei, und ob nicht die Natur, als Meister aller Meister, es für eine Pfuscherei erklären würde, indem sie völlige Widersprüche darin nachwiese. Dies würde allerdings zu dem Grundsatz führen, daß auf historischen Bildern immer nur Porträtte figuriren dürften, welche dann freilich mit der größten Sorgfalt auszuwählen und in etwas zu idealisiren wären. Bekanntlich haben große Künstler immer gern nach lebenden Modellen gemalt und viele Porträtte angebracht. –
    Obgleich, wie im Text ausgeführt, der eigentliche Zweck der Malerei, wie der Kunst überhaupt, ist, uns die Auffassung der (Platonischen) Ideen der Wesen dieser Welt zu erleichtern, wobei wir zugleich in den Zustand des reinen, d.i. willenlosen, Erkennens versetzt werden; so kommt ihr außerdem noch eine davon unabhängige und für sich gehende Schönheit zu, welche hervorgebracht wird durch die bloße Harmonie der Farben, das Wohlgefällige der Gruppirung, die günstige Vertheilung des Lichts und Schattens und den Ton des ganzen Bildes. Diese ihr beigegebene, untergeordnete Art der Schönheit befördert den Zustand des reinen Erkennens und ist in der Malerei Das, was in der Poesie die Diktion, das Metrum und der Reim ist: Beide nämlich sind nicht das Wesentliche, aber das zuerst und unmittelbar Wirkende. –
    Zu meinem, im ersten Bande § 50, über die Unstatthaftigkeit der Allegorie in der Malerei abgegebenen Urtheil bringe ich noch einige Belege bei. Im Palast Borghese, zu Rom, befindet sich folgendes Bild von Michael Angelo Caravaggio: Jesus, als Kind von etwan zehn Jahren, tritt einer Schlange auf den Kopf, aber ganz ohne Furcht und mit größter Gelassenheit, und eben so gleichgültig bleibt dabei seine ihn begleitende Mutter: daneben steht die heilige Elisabeth, feierlich und tragisch zum Himmel blickend. Was möchte wohl bei dieser kyriologischen Hieroglyphe ein Mensch denken, der nie etwas vernommen hätte vom Samen des Weibes, welcher der Schlange den Kopf zertreten soll? – Zu Florenz, im Bibliotheksaal des Palastes Riccardi, finden wir auf dem von Luca Giordano gemalten Plafond folgende Allegorie, welche besagen soll, daß die Wissenschaft den Verstand aus den Banden der Unwissenheit befreit: der Verstand ist ein starker Mann, von Stricken umwunden, die eben abfallen: eine Nymphe hält ihm einen Spiegel vor, eine andere reicht ihm einen abgelösten großen Flügel: darüber sitzt die Wissenschaft auf einer Kugel und, mit einer Kugel in der Hand, neben ihr die nackte Wahrheit. – Zu Ludwigsburg bei Stuttgart zeigt uns

Weitere Kostenlose Bücher