Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
edel absticht gegen unsere modernen Gefäße im Originalgeschmack, als welche den Stämpel der Gemeinheit tragen, sie mögen nun aus Porzellan, oder grobem Töpferthon geformt seyn. Beim Anblick der Gefäße und Geräthe der Alten fühlen wir, daß wenn die Natur dergleichen Dinge hätte schaffen wollen, sie es in diesen Formen gethan haben würde. – Da wir also die Schönheit der Baukunst hauptsächlich aus der unverhohlenen Darlegung der Zwecke und dem Erreichen derselben auf dem kürzesten und natürlichsten Wege hervorgehn sehn; so geräth hier meine Theorie in geraden Widerspruch mit der Kantischen, als welche das Wesen alles Schönen in eine anscheinende Zweckmäßigkeit ohne Zweck setzt.
Das hier dargelegte alleinige Thema der Architektur, Stütze und Last, ist so sehr einfach, daß eben deshalb diese Kunst, soweit sie schöne Kunst ist (nicht aber sofern sie dem Nutzen dient), schon seit der besten Griechischen Zeit, im Wesentlichen vollendet und abgeschlossen, wenigstens keiner bedeutenden Bereicherung mehr fähig ist. Hingegen kann der moderne Architekt sich von den Regeln und Vorbildern der Alten nicht merklich entfernen, ohne eben schon auf dem Wege der Verschlechterung zu seyn. Ihm bleibt daher nichts übrig, als die von den Alten überlieferte Kunst anzuwenden und ihre Regeln, so weit es möglich ist, unter den Beschränkungen, welche das Bedürfniß, das Klima, das Zeitalter, und sein Land ihm unabweisbar auflegen, durchzusetzen. Denn in dieser Kunst, wie auch in der Skulptur, fällt das Streben nach dem Ideal mit der Nachahmung der Alten zusammen.
Ich brauche wohl kaum zu erinnern, daß ich, bei allen diesen architektonischen Betrachtungen, allein den antiken Baustil und nicht den sogenannten Gothischen, welcher, Saracenischen Ursprungs, durch die Gothen in Spanien dem übrigen Europa zugeführt worden ist, im Auge gehabt habe. Vielleicht ist auch diesem eine gewisse Schönheit, in seiner Art, nicht ganz abzusprechen: wenn er jedoch unternimmt, sich jenem als ebenbürtig gegenüberzustellen; so ist dies eine barbarische Vermessenheit, welche man durchaus nicht gelten lassen darf. Wie wohlthätig wirkt doch auf unsern Geist, nach dem Anschauen solcher Gothischer Herrlichkeiten, der Anblick eines regelrechten, im antiken Stil aufgeführten Gebäudes! Wir fühlen sogleich, daß dies das allein Rechte und Wahre ist. Könnte man einen alten Griechen vor unsere berühmtesten Gothischen Kathedralen führen; was würde er wohl dazu sagen? – Barbaroi ! – Unser Wohlgefallen an Gothischen Werken beruht ganz gewiß größten Theils auf Gedankenassociationen und historischen Erinnerungen, also auf einem der Kunst fremden Gefühl. Alles was ich vom eigentlich ästhetischen Zweck, vom Sinn und Thema der Baukunst gesagt habe, verliert bei diesen Werken seine Gültigkeit. Denn das frei liegende Gebälk ist verschwunden und mit ihm die Säule: Stütze und Last, geordnet und vertheilt, um den Kampf zwischen Starrheit und Schwere zu veranschaulichen, sind hier nicht mehr das Thema. Auch ist jene durchgängige, reine Rationalität, vermöge welcher Alles strenge Rechenschaft zuläßt, ja, sie dem denkenden Beschauer schon von selbst entgegenbringt, und welche zum Charakter des antiken Baustils gehört, hier nicht mehr zu finden: wir werden bald inne, daß hier, statt ihrer, eine von fremdartigen Begriffen geleitete Willkür gewaltet hat; daher Vieles uns unerklärt bleibt. Denn nur der antike Baustil ist in rein objektivem Sinne gedacht, der gothische mehr in subjektivem. – Wollen wir jedoch, wie wir als den eigentlichen, ästhetischen Grundgedanken der antiken Baukunst die Entfaltung des Kampfes zwischen Starrheit und Schwere erkannt haben, auch in der Gothischen einen analogen Grundgedanken auffinden; so müßte es dieser seyn, daß hier die gänzliche Ueberwältigung und Besiegung der Schwere durch die Starrheit dargestellt werden soll. Denn demgemäß ist hier die Horizontallinie, welche die der Last ist, fast ganz verschwunden, und das Wirken der Schwere tritt nur noch indirekt, nämlich in Bogen und Gewölbe verlarvt, auf, während die Vertikallinie, welche die der Stütze ist, allein herrscht, und in unmäßig hohen Strebepfeilern, Thürmen, Thürmchen und Spitzen ohne Zahl, welche unbelastet in die Höhe gehn, das siegreiche Wirken der Starrheit versinnlicht. Während in der antiken Baukunst das Streben und Drängen von oben nach unten eben so wohl vertreten und dargelegt ist, wie das von unten nach
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