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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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oben; so herrscht hier das letztere entschieden vor: wodurch auch jene oft bemerkte Analogie mit dem Krystall entsteht, da dessen Anschießen ebenfalls mit Ueberwältigung der Schwere geschieht. Wenn wir nun diesen Sinn und Grundgedanken der Gothischen Baukunst unterlegen und diese dadurch als gleichberechtigten Gegensatz der antiken aufstellen wollten; so wäre dagegen zu erinnern, daß der Kampf zwischen Starrheit und Schwere, welchen die antike Baukunst so offen und naiv darlegt, ein wirklicher und wahrer, in der Natur gegründeter ist; die gänzliche Ueberwindung der Schwere durch die Starrheit hingegen ein bloßer Schein bleibt, eine Fiktion, durch Täuschung beglaubigt. – Wie aus dem hier angegebenen Grundgedanken und den oben bemerkten Eigenthümlichkeiten der Gothischen Baukunst der mysteriöse und hyperphysische Charakter, welcher derselben zuerkannt wird, hervorgeht, wird Jeder sich leicht deutlich machen können. Hauptsächlich entsteht er, wie schon erwähnt, dadurch, daß hier das Willkürliche an die Stelle des rein Rationellen, sich als durchgängige Angemessenheit des Mittels zum Zweck Kundgebenden, getreten ist. Das viele eigentlich Zwecklose und doch so sorgfältig Vollendete erregt die Voraussetzung unbekannter, unerforschlicher, geheimer Zwecke, d.i. das mysteriöse Ansehn. Hingegen ist die glänzende Seite der Gothischen Kirchen die innere; weil hier die Wirkung des von schlanken, krystallinisch aufstrebenden Pfeilern getragenen, hoch hinaufgehobenen und, bei verschwundener Last, ewige Sicherheit verheißenden Kreuzgewölbes auf das Gemüth eindringt, die meisten der erwähnten Uebelstände aber draußen liegen. An antiken Gebäuden ist die Außenseite die vortheilhaftere; weil man dort Stütze und Last besser übersieht, im Innern hingegen die flache Decke stets etwas Niederdrückendes und Prosaisches behält. An den Tempeln der Alten war auch meistentheils, bei vielen und großen Außenwerken, das eigentliche Innere klein. Einen erhabeneren Anstrich erhielt es durch das Kugelgewölbe einer Kuppel, wie im Pantheon, von welcher daher auch die Italiäner, in diesem Stil bauend, den ausgedehntesten Gebrauch gemacht haben. Dazu stimmt, daß die Alten, als südliche Völker, mehr im Freien lebten, als die nordischen Nationen, welche die Gothische Baukunst vorgezogen haben. – Wer nun aber schlechterdings die Gothische Baukunst als eine wesentliche und berechtigte gelten lassen will, mag, wenn er zugleich Analogien liebt, sie den negativen Pol der Architektur, oder auch die Moll-Tonart derselben benennen. – Im Interesse des guten Geschmacks muß ich wünschen, daß große Geldmittel dem objektiv, d.h. wirklich Guten und Rechten, dem an sich Schönen, zugewendet werden, nicht aber Dem, dessen Werth bloß auf Ideenassociationen beruht. Wenn ich nun sehe, wie dieses ungläubige Zeitalter die vom gläubigen Mittelalter unvollendet gelassenen Gothischen Kirchen so emsig ausbaut, kommt es mir vor, als wolle man das dahingeschiedene Christenthum einbalsamiren.

Kapitel 36.Vereinzelte Bemerkungen zur Aesthetik der bildenden Künste

    In der Skulptur sind Schönheit und Grazie die Hauptsache: in der Malerei aber erhalten Ausdruck, Leidenschaft, Charakter das Uebergewicht; daher von der Forderung der Schönheit eben so viel nachgelassen werden muß. Denn eine durchgängige Schönheit aller Gestalten, wie die Skulptur sie fordert, würde dem Charakteristischen Abbruch thun, auch durch die Monotonie ermüden. Demnach darf die Malerei auch häßliche Gesichter und abgezehrte Gestalten darstellen: die Skulptur hingegen verlangt Schönheit, wenn auch nicht stets vollkommene, durchaus aber Kraft und Fülle der Gestalten. Folglich ist ein magerer Christus am Kreuz, ein von Alter und Krankheit abgezehrter, sterbender heiliger Hieronymus, wie das Meisterstück Domenichino's, ein für die Malerei passender Gegenstand: hingegen der durch Fasten auf Haut und Knochen reducirte Johannes der Täufer, in Marmor, von Donatello, auf der Gallerie zu Florenz, wirkt, trotz der meisterhaften Ausführung, widerlich. – Von diesem Gesichtspunkt aus scheint die Skulptur der Bejahung, die Malerei der Verneinung des Willens zum Leben angemessen, und hieraus ließe sich erklären, warum die Skulptur die Kunst der Alten, die Malerei die der christlichen Zeiten gewesen ist. –
    Bei der § 45 des ersten Bandes gegebenen Auseinandersetzung, daß das Herausfinden, Erkennen und Feststellen des Typus der menschlichen Schönheit auf einer

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