Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
kennt; diese hingegen auch erkünstelte, konventionelle und imaginäre Motive als wirksam geltend macht: dahin gehören die aus dem Christlichen Mythos stammenden, sodann die des ritterlichen, überspannten und phantastischen Ehrenprincips, ferner die der abgeschmackten und lächerlichen christlichgermanischen Weiberverehrung, endlich die der faselnden und mondsüchtigen hyperphysischen Verliebtheit. Zu welcher fratzenhaften Verzerrung menschlicher Verhältnisse und menschlicher Natur diese Motive aber führen, kann man sogar an den besten Dichtern der romantischen Gattung ersehn, z.B. an Calderon. Von den Autos gar nicht zu reden, berufe ich mich nur auf Stücke wie No siempre ei peor es cierto (Nicht immer ist das Schlimmste gewiß) und El postrero duelo en España (Das letzte Duell in Spanien) und ähnliche Komödien en capa y espada : zu jenen Elementen gesellt sich hier noch die oft hervortretende Scholastische Spitzfindigkeit in der Konversation, welche damals zur Geistesbildung der höhern Stände gehörte. Wie steht doch dagegen die Poesie der Alten, welche stets der Natur treu bleibt, entschieden im Vortheil, und ergiebt sich, daß die klassische Poesie eine unbedingte, die romantische nur eine bedingte Wahrheit und Richtigkeit hat; analog der Griechischen und der Gothischen Baukunst. – Andererseits ist jedoch hier zu bemerken, daß alle dramatischen, oder erzählenden Dichtungen, welche den Schauplatz nach dem alten Griechenland oder Rom versetzen, dadurch in Nachtheil gerathen, daß unsere Kenntniß des Alterthums, besonders was das Detail des Lebens betrifft, unzureichend, fragmentarisch und nicht aus der Anschauung geschöpft ist. Dies nämlich nöthigt den Dichter Vieles zu umgehn und sich mit Allgemeinheiten zu behelfen, wodurch er ins Abstrakte geräth und sein Werk jene Anschaulichkeit und Individualisation einbüßt, welche der Poesie durchaus wesentlich ist. Dies ist es, was allen solchen Werken den eigenthümlichen Anstrich von Leerheit und Langweiligkeit giebt. Bloß Shakespeare's Darstellungen der Art sind frei davon; weil er, ohne Zaudern, unter den Namen von Griechen und Römern, Engländer seines Zeitalters dargestellt hat.-
Manchen Meisterstücken der lyrischen Poesie, namentlich einigen Oden des Horaz (man sehe z.B. die zweite des dritten Buchs) und mehreren Liedern Goethes (z, B. Schäfers Klagelied), ist vorgeworfen worden, daß sie des rechten Zusammenhanges entbehrten und voller Gedankensprünge wären. Allein hier ist der logische Zusammenhang absichtlich vernachlässigt, um ersetzt zu werden durch die Einheit der darin ausgedrückten Grundempfindung und Stimmung, als welche gerade dadurch mehr hervortritt, indem sie wie eine Schnur durch die gesonderten Perlen geht und den schnellen Wechsel der Gegenstände der Betrachtung so vermittelt, wie in der Musik den Uebergang aus einer Tonart in die andere der Septimenackord, durch welchen der in ihm fortklingende Grundton zur Dominante der neuen Tonart wird. Am deutlichsten, nämlich bis zur Uebertreibung, findet man die hier bezeichnete Eigenschaft in der Canzone des Petrarka, welche anhebt: Mai non vo' più cantar, com' io soleva . –
Wie demnach in der lyrischen Poesie das subjektive Element vorherrscht, so ist dagegen im Drama das objektive allein und ausschließlich vorhanden. Zwischen Beiden hat die epische Poesie, in allen ihren Formen und Modifikationen, von der erzählenden Romanze bis zum eigentlichen Epos, eine breite Mitte inne. Denn obwohl sie in der Hauptsache objektiv ist; so enthält sie doch ein bald mehr bald minder hervortretendes subjektives Element, welches am Ton, an der Form des Vertrags, wie auch an eingestreuten Reflexionen seinen Ausdruck findet. Wir verlieren nicht den Dichter so ganz aus den Augen, wie beim Drama.
Der Zweck des Dramas überhaupt ist, uns an einem Beispiel zu zeigen, was das Wesen und Daseyn des Menschen sei. Dabei kann nun die traurige, oder die heitere Seite derselben uns zugewendet werden, oder auch deren Uebergänge. Aber schon der Ausdruck »Wesen und Daseyn des Menschen« enthält den Keim zu der Kontroverse, ob das Wesen, d.i. die Charaktere, oder das Daseyn, d.i. das Schicksal, die Begebenheit, die Handlung, die Hauptsache sei. Uebrigens sind Beide so fest mit einander verwachsen, daß wohl ihr Begriff, aber nicht ihre Darstellung sich trennen läßt. Denn nur die Umstände, Schicksale, Begebenheiten bringen die Charaktere zur Aeußerung ihres Wesens, und nur aus den Charakteren
Weitere Kostenlose Bücher