Sternenfaust - 175 - Der Schatten des Feindes
STERNENFAUST, 30. Oktober 2257
Von einem Moment zum anderen hatte sich die STERNENFAUST von einem einsatzfähigen Schiff in eine buchstäbliche Hölle verwandelt.
Auf der Brücke waren alle Systeme ausgefallen, einschließlich der künstlichen Schwerkraft. Das Donnern und Krachen zerberstender Schiffsteile hallte überall durch das Schiff.
Als sie endlich wieder im Normalraum waren und die Notenergie ansprang, hatte sich ein Bild des Grauens ergeben.
Die Tür zur Brücke war von der Automatik versperrt worden, was nur eines bedeuten konnte: Hüllenbrüche im Hauptkorridor hatten dazu geführt, dass dort keine Atmosphäre mehr herrschte.
Nach einer Ewigkeit waren endlich Crewmitglieder in Raumanzügen zur Brücke vorgedrungen. Zu dieser Zeit war es auch Captain Chip Barus gelungen, mit einem Rettungsteam im Hangar der STERNENFAUST zu landen.
Und dann türmten sich die grauenvollen Schadensberichte. Zweiunddreißig Tote, darunter auch Dana Frosts erster Offizier Lieutenant Commander Stephan van Deyk. Zudem drei so schwer verletzte Crewmitglieder, dass sie wahrscheinlich nie wieder ganz genesen würden.
Zum Glück hatte Dana zunächst gar nicht so viel mitbekommen. Als die Sanitäter sich um sie kümmerten, hatte sie immer wieder das Bewusstsein verloren. Erst im Krankenlager, das man in einem Hangar der SONNENWIND für die Überlebenden der STERNENFAUST eingerichtet hatte, war sie wieder zu sich gekommen.
Schließlich die Trauerfeier. Zweiunddreißig Särge waren aufgebahrt worden. Dana hatte an der Raumbestattung teilgenommen. Ein Medo-Suit hatte sie dabei unterstützt, denn auch sie hatte sich mehrere Knochenbrüche und eine schwere Gehirnerschütterung zugezogen.
Die Blicke der Besatzung waren ihr ausgewichen. Jeder hatte sie bedauert. Für einen Kommandanten gab es nichts Schlimmeres, als auf diese Weise und unter so grauenvollen Opfern ein Schiff zu verlieren. Selbst Bruder William war ihr keine große Hilfe gewesen. Sie hatte seinem Gesicht ansehen können, dass er genug damit zu tun hatte, das Erlebte selbst zu verarbeiten.
Nach der Bestattungsfeier schleppte sich Dana zur Nasszelle im Sanitätsraum der SONNENWIND und blickte in den Spiegel.
Ihre Augen waren rot, ihr Gesicht weiß wie eine Wand. Und schließlich erkannte sie es: Das da im Spiegel war gar nicht ihr Spiegelbild. Es konnte nicht ihr Spiegelbild sein.
Dana Frost war fast vierzig Jahre alt, doch die winzigen Fältchen um ihren Mund und ihre Augenwinkel waren verschwunden. Ihr Gesicht war schmaler, ihre Haare kürzer …
So hatte sie mit Ende zwanzig ausgesehen.
Plötzlich leuchtete ihre rechte Wange. Ein ungewöhnliches Symbol kam darauf zum Vorschein, ein Zeichen, wie sie es zuvor noch nie gesehen hatte. Dennoch kam es ihr merkwürdig vertraut vor.
Kurz darauf verschwand es wieder – unter einem seltsamen, violetten Leuchten.
Langsam griff Dana in ihre Umhängetasche. Sie wusste, dass sich etwas darin befand. Etwas, das ungeheuer wichtig war.
Doch ihr Griff ging ins Leere. Es war noch nicht einmal mehr eine Umhängetasche da. Warum auch? Sie trug den Medo-Anzug, mehr nicht.
Erneut warf Dana einen Blick in den Spiegel, doch das Symbol auf der Wange blieb verschwunden.
Dana holte so tief es ging Luft und kniff fest die Augen zusammen. Sie spürte, wie Leben in ihre Augenlider zurückfloss. Es war eine Energie, die sie nutzte, um die Augen schließlich weit aufzureißen.
Es war wie ein Sprung ins kalte Wasser, als die Unwirklichkeit der Realität wich.
»Licht«, rief sie mit krächzender Stimme, und sofort aktivierte sich ein sanfter Lichtstrom, der sich in ihrer Kabine ausbreitete.
Sie war wieder in ihrem Quartier. In ihrem Quartier auf der STERNENFAUST.
Der Traum war zu Ende.
Dana war von einem Augenblick auf den anderen hellwach. Die Geräusche, die sie normalerweise ausblendete, dröhnten in ihren Ohren. Sie hörte das Gebläse der Belüftungsanlage, und sie spürte das Summen des Bergströmantriebs bis in ihre Wirbelknochen hinein.
Ihr Herz trommelte wie nach einem Sprint. Mechanisch wischte sich Dana mit ihrer eiskalten Hand über den Gesichtsschweiß.
Ansonsten blieb sie reglos liegen. Fast so, als wage sie noch nicht, sich zu bewegen. Es war ein Urinstinkt. Der Mensch war gerade einer Gefahr entkommen und verhielt sich zunächst einmal still, um die Bedrohung nicht erneut auf sich zu locken. Unnötigerweise wurde dieser Instinkt auch bei Albträumen aktiviert.
Schließlich siegte ihre Vernunft und Dana
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