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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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des selben Vortheils wie die andern rühmen kann: denn ihr fehlt der Grundcharakter der Wissenschaft, die Subordination des Gewußten, statt deren sie bloße Koordination desselben aufzuweisen hat. Daher giebt es kein System der Geschichte, wie doch jeder andern Wissenschaft, Sie ist demnach zwar ein Wissen, jedoch keine Wissenschaft. Denn nirgends erkennt sie das Einzelne mittelst des Allgemeinen, sondern muß das Einzelne unmittelbar fassen und so gleichsam auf dem Boden der Erfahrung fortkriechen; während die wirklichen Wissenschaften darüber schweben, indem sie umfassende Begriffe gewonnen haben, mittelst deren sie das Einzelne beherrschen und, wenigstens innerhalb gewisser Gränzen, die Möglichkeit der Dinge ihres Bereiches absehn, so daß sie auch über das etwan noch Hinzukommende beruhigt seyn können. Die Wissenschaften, da sie Systeme von Begriffen sind, reden stets von Gattungen; die Geschichte von Individuen. Sie wäre demnach eine Wissenschaft von Individuen; welches einen Widerspruch besagt. Auch folgt aus Ersterem, daß die Wissenschaften sämmtlich von Dem reden, was immer ist; die Geschichte hingegen von Dem, was nur Ein Mal und dann nicht mehr ist. Da ferner die Geschichte es mit dem schlechthin Einzelnen und Individuellen zu thun hat, welches, seiner Natur nach, unerschöpflich ist; so weiß sie Alles nur unvollkommen und halb. Dabei muß sie zugleich noch von jedem neuen Tage, in seiner Alltäglichkeit, sich Das lehren lassen, was sie noch gar nicht wußte. – Wollte man hiegegen einwenden, daß auch in der Geschichte Unterordnung des Besondern unter das Allgemeine Statt finde, indem die Zeitperioden, die Regierungen und sonstige Haupt- und Staatsveränderungen, kurz, Alles was auf den Geschichtstabellen Platz findet, das Allgemeine seien, dem das Specielle sich unterordnet; so würde dies auf einer falschen Fassung des Begriffes vom Allgemeinen beruhen. Denn das hier angeführte Allgemeine in der Geschichte ist bloß ein subjektives , d.h. ein solches, dessen Allgemeinheit allein aus der Unzulänglichkeit der individuellen Kenntniß von den Dingen entspringt, nicht aber ein objektives , d.h. ein Begriff, in welchem die Dinge wirklich schon mitgedacht wären. Selbst das Allgemeinste in der Geschichte ist an sich selbst doch nur ein Einzelnes und Individuelles, nämlich ein langer Zeitabschnitt, oder eine Hauptbegebenheit: zu diesem verhält sich daher das Besondere, wie der Theil zum Ganzen, nicht aber wie der Fall zur Regel; wie dies hingegen in allen eigentlichen Wissenschaften Statt hat, weil sie Begriffe, nicht bloße Thatsachen überliefern. Daher eben kann man in diesen durch richtige Kenntniß des Allgemeinen das vorkommende Besondere sicher bestimmen. Kenne ich z.B. die Gesetze des Triangels überhaupt; so kann ich danach auch angeben, was dem mir vorgelegten Triangel zukommen muß: und was von allen Säugethieren gilt, z, B. daß sie doppelte Herzkammern, gerade sieben Halswirbel, Lunge, Zwergfell, Urinblase, fünf Sinne u.s.w. haben, das kann ich auch von der soeben gefangenen fremden Fledermaus, vor ihrer Sektion, aussagen. Aber nicht so in der Geschichte, als wo das Allgemeine kein objektives der Begriffe, sondern bloß ein subjektives meiner Kenntniß ist, welche nur insofern, als sie oberflächlich ist, allgemein genannt werden kann: daher mag ich immerhin vom dreißigjährigen Kriege im Allgemeinen wissen, daß er ein im 17. Jahrhundert geführter Religionskrieg gewesen; aber diese allgemeine Kenntniß befähigt mich nicht, irgend etwas Näheres über seinen Verlauf anzugeben. – Der selbe Gegensatz bewährt sich auch darin, daß in den wirklichen Wissenschaften das Besondere und Einzelne das Gewisseste ist, da es auf unmittelbarer Wahrnehmung beruht: hingegen sind die allgemeinen Wahrheiten erst aus ihm abstrahirt; daher in diesen eher etwas irrig angenommen seyn kann. In der Geschichte aber ist umgekehrt das Allgemeinste das Gewisseste, z.B. die Zeitperioden, die Succession der Könige, die Revolutionen, Kriege und Friedensschlüsse: hingegen das Besondere der Begebenheiten und ihres Zusammenhangs ist Ungewisser, und wird es immer mehr, je weiter man ins Einzelne geräth. Daher ist die Geschichte zwar um so interessanter, je specieller sie ist, aber auch um so unzuverlässiger, und nähert sich alsdann in jeder Hinsicht dem Romane. – Was es übrigens mit dem gerühmten Pragmatismus der Geschichte auf sich habe, wird Der am besten ermessen können, welcher sich erinnert,

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