Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
aber ist es, worauf, nach dem Zeugniß unsers innersten Bewußtseyns, Alles ankommt: und dieses liegt allein im Individuo, als die Richtung seines Willens. In Wahrheit hat nur der Lebenslauf jedes Einzelnen Einheit, Zusammenhang und wahre Bedeutsamkeit: er ist als eine Belehrung anzusehn, und der Sinn derselben ist ein moralischer. Nur die innern Vorgänge, sofern sie den Willen betreffen, haben wahre Realität und sind wirkliche Begebenheiten; weil der Wille allein das Ding an sich ist. In jedem Mikrokosmos liegt der ganze Makrokosmos, und dieser enthält nichts mehr als jener. Die Vielheit ist Erscheinung, und die äußern Vorgänge sind bloße Konfigurationen der Erscheinungswelt, haben daher unmittelbar weder Realität noch Bedeutung, sondern erst mittelbar, durch ihre Beziehung auf den Willen der Einzelnen. Das Bestreben sie unmittelbar deuten und auslegen zu wollen, gleicht sonach dem, in den Gebilden der Wolken Gruppen von Menschen und Thieren zu sehn. – Was die Geschichte erzählt, ist in der That nur der lange, schwere und verworrene Traum der Menschheit.
Die Hegelianer, welche die Philosophie der Geschichte sogar als den Hauptzweck aller Philosophie ansehn, sind auf Plato zu verweisen, der unermüdlich wiederholt, daß der Gegenstand der Philosophie das Unveränderliche und immerdar Bleibende sei, nicht aber Das, was bald so, bald anders ist. Alle Die, welche solche Konstruktionen des Weltverlaufs, oder, wie sie es nennen, der Geschichte, aufstellen, haben die Hauptwahrheit aller Philosophie nicht begriffen, daß nämlich zu aller Zeit das Selbe ist, alles Werden und Entstehn nur scheinbar, die Ideen allein bleibend, die Zeit ideal. Dies will der Plato, Dies will der Kant. Man soll demnach zu verstehn suchen, was da ist , wirklich ist , heute und immerdar, – d.h. die Ideen (in Plato's Sinn) erkennen. Die Thoren hingegen meinen, es solle erst etwas werden und kommen. Daher räumen sie der Geschichte eine Hauptstelle in ihrer Philosophie ein und konstruiren dieselbe nach einem vorausgesetzten Weltplane, welchem gemäß Alles zum Besten gelenkt wird, welches dann finaliter eintreten soll und eine große Herrlichkeit seyn wird. Demnach nehmen sie die Welt als vollkommen real und setzen den Zweck derselben in das armsälige Erdenglück, welches, selbst wenn noch so sehr von Menschen gepflegt und vom Schicksal begünstigt, doch ein hohles, täuschendes, hinfälliges und trauriges Ding ist, aus welchem weder Konstitutionen und Gesetzgebungen, noch Dampfmaschinen und Telegraphen jemals etwas wesentlich Besseres machen können. Besagte Geschichts-Philosophen und -Verherrlicher sind demnach einfältige Realisten, dazu Optimisten und Eudämonisten, mithin platte Gesellen und eingefleischte Philister, zudem auch eigentlich schlechte Christen; da der wahre Geist und Kern des Christenthums, eben so wie des Brahmanismus und Buddhaismus, die Erkenntniß der Nichtigkeit des Erdenglücks, die völlige Verachtung desselben und Hinwendung zu einem ganz anderartigen, ja, entgegengesetzten Daseyn ist: Dies, sage ich, ist der Geist und Zweck des Christenthums, der wahre »Humor der Sache«; nicht aber ist es, wie sie meinen, der Monotheismus; daher eben der atheistische Buddhaismus dem Christenthum viel näher verwandt ist, als das optimistische Judenthum und seine Varietät, der Islam.
Eine wirkliche Philosophie der Geschichte soll also nicht, wie Jene alle thun, Das betrachten, was (in Plato's Sprache zu reden) immer wird und nie ist , und Dieses für das eigentliche Wesen der Dinge halten; sondern sie soll Das, was immer ist und nie wird, noch vergeht, im Auge behalten. Sie besteht also nicht darin, daß man die zeitlichen Zwecke der Menschen zu ewigen und absoluten erhebt, und nun ihren Fortschritt dazu, durch alle Verwickelungen, künstlich und imaginär konstruirt; sondern in der Einsicht, daß die Geschichte nicht nur in der Ausführung, sondern schon in ihrem Wesen lügenhaft ist, indem sie, von lauter Individuen und einzelnen Vorgängen redend, vorgiebt, allemal etwas Anderes zu erzählen; während sie, vom Anfang bis zum Ende, stets nur das Selbe wiederholt, unter andern Namen und in anderm Gewande. Die wahre Philosophie der Geschichte besteht nämlich in der Einsicht, daß man, bei allen diesen endlosen Veränderungen und ihrem Wirrwarr, doch stets nur das selbe, gleiche und unwandelbare Wesen vor sich hat, welches heute das Selbe treibt, wie gestern und immerdar: sie soll also das Identische in allen Vorgängen,
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