Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
sondern als Produkt und Resultat des organischen Lebens gezeigt, indem es in Folge desselben stieg und sank, nämlich in den verschiedenen Lebensaltern, in Gesundheit und Krankheit, in Schlaf, Ohnmacht, Erwachen u.s.w., also stets als Wirkung, nie als Ursache des organischen Lebens auftrat, stets sich zeigte als etwas, das entsteht und vergeht, und wieder entsteht, so lange hiezu die Bedingungen noch dasind, aber außerdem nicht. Ja, ich kann auch gesehn haben, daß die völlige Zerrüttung des Bewußtseyns, der Wahnsinn, weit entfernt, die übrigen Kräfte mit sich herabzuziehn und zu deprimiren, oder gar das Leben zu gefährden, jene, namentlich die Irritabilität oder Muskelkraft, sehr erhöht, und dieses eher verlängert als verkürzt, wenn nicht andere Ursachen konkurriren. – Sodann: Individualität kannte ich als Eigenschaft jedes Organischen, und daher, wenn dieses ein selbstbewußtes ist, auch des Bewußtseyns. Jetzt zu schließen, daß dieselbe jenem entwichenen, Leben ertheilenden, mir völlig unbekannten Princip inhärire, dazu ist kein Anlaß vorhanden; um so weniger, als ich sehe, daß überall in der Natur jede einzelne Erscheinung das Werk einer allgemeinen, in tausend gleichen Erscheinungen thätigen Kraft ist. – Aber eben so wenig Anlaß ist andererseits zu schließen, daß, weil hier das organische Leben aufgehört hat, deshalb auch jene dasselbe bisher aktuirende Kraft zu Nichts geworden sei; – so wenig, als vom stillstehenden Spinnrade auf den Tod der Spinnerin zu schließen ist. Wenn ein Pendel, durch Wiederfinden seines Schwerpunkts, endlich zur Ruhe kommt, und also das individuelle Scheinleben desselben aufgehört hat; so wird Keiner wähnen, jetzt sei die Schwere vernichtet; sondern Jeder begreift, daß sie in zahllosen Erscheinungen nach wie vor thätig ist. Allerdings ließe sich gegen dieses Gleichniß einwenden, daß hier auch in diesem Pendel die Schwere nicht aufgehört hat thätig zu seyn, sondern nur ihre Thätigkeit augenfällig zu äußern: wer darauf besteht, mag sich statt dessen einen elektrischen Körper denken, in welchem, nach seiner Entladung, die Elektricität wirklich aufgehört hat thätig zu seyn. Ich habe daran nur zeigen wollen, daß wir selbst den untersten Naturkräften eine Aeternität und Übiquität unmittelbar zuerkennen, an welcher uns die Vergänglichkeit ihrer flüchtigen Erscheinungen keinen Augenblick irre macht. Um so weniger also darf es uns in den Sinn kommen, das Aufhören des Lebens für die Vernichtung des belebenden Princips, mithin den Tod für den gänzlichen Untergang des Menschen zu halten. Weil der kräftige Arm, der, vor dreitausend Jahren, den Bogen des Odysseus spannte, nicht mehr ist, wird kein nachdenkender und wohlgeregelter Verstand die Kraft, welche in demselben so energisch wirkte, für gänzlich vernichtet halten, aber daher, bei fernerem Nachdenken, auch nicht annehmen, daß die Kraft, welche heute den Bogen spannt, erst mit diesem Arm zu existiren angefangen habe. Viel näher liegt der Gedanke, daß die Kraft, welche früher ein nunmehr entwichenes Leben aktuirte, die selbe sei, welche in dem jetzt blühenden thätig ist: ja, dieser ist fast unabweisbar. Gewiß aber wissen wir, daß, wie im zweiten Buche dargethan wurde, nur Das vergänglich ist, was in der Kausalkette begriffen ist: dies aber sind bloß die Zustände und Formen. Unberührt hingegen von dem durch Ursachen herbeigeführten Wechsel dieser bleibt einerseits die Materie und andererseits die Naturkräfte: denn Beide sind die Voraussetzung aller jener Veränderungen. Das uns belebende Princip aber müssen wir zunächst wenigstens als eine Naturkraft denken, bis etwan eine tiefere Forschung uns hat erkennen lassen, was es an sich selbst sei. Also schon als Naturkraft genommen, bleibt die Lebenskraft ganz unberührt von dem Wechsel der Formen und Zustände, welche das Band der Ursachen und Wirkungen herbei- und hinwegführt, und welche allein dem Entstehn und Vergehn, wie es in der Erfahrung vorliegt, unterworfen sind. Soweit also ließe sich schon die Unvergänglichkeit unsers eigentlichen Wesens sicher beweisen. Aber freilich wird dies den Ansprüchen, welche man an Beweise unsers Fortbestehns nach dem Tode zu machen gewohnt ist, nicht genügen, noch den Trost gewähren, den man von solchen erwartet. Indessen ist es immer etwas, und wer den Tod als seine absolute Vernichtung fürchtet, darf die völlige Gewißheit, daß das innerste Princip seines Lebens von demselben
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