Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
unberührt bleibt, nicht verschmähen. – Ja, es ließe sich das Paradoxon aufstellen, daß auch jenes Zweite, welches, eben wie die Naturkräfte, von dem am Leitfaden der Kausalität fortlaufenden Wechsel der Zustände unberührt bleibt, also die Materie, durch seine absolute Beharrlichkeit uns eine Unzerstörbarkeit zusichert, vermöge welcher, wer keine andere zu fassen fähig wäre, sich doch schon einer gewissen Unvergänglichkeit getrösten könnte. »Wie?« wird man sagen, »das Beharren des bloßen Staubes, der rohen Materie, sollte als eine Fortdauer unsers Wesens angesehn werden?« – Oho! kennt ihr denn diesen Staub? Wißt ihr, was er ist und was er vermag? Lernt ihn kennen, ehe ihr ihn verachtet. Diese Materie, die jetzt als Staub und Asche daliegt, wird bald, im Wasser aufgelöst, als Krystall anschießen, wird als Metall glänzen, wird dann elektrische Funken sprühen, wird mittelst ihrer galvanischen Spannung eine Kraft äußern, welche, die festesten Verbindungen zersetzend, Erden zu Metallen reducirt: ja, sie wird von selbst sich zu Pflanze und Thier gestalten und aus ihrem geheimnißvollen Schooß jenes Leben entwickeln, vor dessen Verlust ihr in eurer Beschränktheit so ängstlich besorgt seid. Ist nun, als eine solche Materie fortzudauern, so ganz und gar nichts? Ja, ich behaupte im Ernst, daß selbst diese Beharrlichkeit der Materie von der Unzerstörbarkeit unsers wahren Wesens Zeugniß ablegt, wenn auch nur wie im Bilde und Gleichniß, oder vielmehr nur wie im Schattenriß. Dies einzusehn, dürfen wir uns nur an die Kapitel 24 gegebene Erörterung der Materie erinnern, aus der sich ergab, daß die lautere, formlose Materie, – diese für sich allein nie wahrgenommene, aber als stets bleibend vorausgesetzte Basis der Erfahrungswelt, – der unmittelbare Wiederschein, die Sichtbarkeit überhaupt, des Dinges an sich, also des Willens, ist; daher von ihr, unter den Bedingungen der Erfahrung, Das gilt, was dem Willen an sich schlechthin zukommt und sie seine wahre Ewigkeit unter dem Bilde der zeitlichen Unvergänglichkeit wiedergiebt. Weil, wie schon gesagt, die Natur nicht lügt; so kann keine aus einer rein objektiven Auffassung derselben entsprungene und in folgerechtem Denken durchgeführte Ansicht ganz und gar falsch seyn, sondern sie ist, im schlimmsten Fall, nur sehr einseitig und unvollständig. Eine solche aber ist unstreitig auch der konsequente Materialismus, etwan der des Epikuros , eben so gut, wie der ihm entgegengesetzte absolute Idealismus, etwan der des Berkeley , und überhaupt jede aus einem richtigen apperçu hervorgegangene und redlich ausgeführte philosophische Grundansicht. Nur sind sie Alle höchst einseitige Auffassungen und daher, trotz ihrer Gegensätze, zugleich wahr, nämlich jede von einem bestimmten Standpunkt aus: sobald man aber sich über diesen erhebt, erscheinen sie nur noch als relativ und bedingt wahr. Der höchste Standpunkt allein, von welchem aus man sie alle übersieht und in ihrer bloß relativen Wahrheit, über diese hinaus aber in ihrer Falschheit erkennt, kann der der absoluten Wahrheit, so weit eine solche überhaupt erreichbar ist, seyn. Dem entsprechend sehn wir, wie soeben nachgewiesen wurde, selbst in der eigentlich sehr rohen und daher sehr alten Grundansicht des Materialismus die Unzerstörbarkeit unsers wahren Wesens an sich noch wie durch einen bloßen Schatten derselben repräsentirt, nämlich durch die Unvergänglichkeit der Materie; wie, in dem schon höher stehenden Naturalismus einer absoluten Physik, durch die Ubiquität und Aeternität der Naturkräfte, welchen die Lebenskraft doch wenigstens beizuzählen ist. Also selbst diese rohen Grundansichten enthalten die Aussage, daß das lebende Wesen durch den Tod keine absolute Vernichtung erleidet, sondern in und mit dem Ganzen der Natur fortbesteht. –
Die Betrachtungen, welche uns bis hieher geführt haben und an welche die ferneren Erörterungen sich knüpften, waren ausgegangen von der auffallenden Todesfurcht, welche alle lebenden Wesen erfüllt. Jetzt aber wollen wir den Standpunkt wechseln und ein Mal betrachten, wie, im Gegensatz der Einzelwesen, das Ganze der Natur sich hinsichtlich des Todes verhält; wobei wir jedoch immer noch auf dem empirischen Grund und Boden stehn bleiben.
Wir freilich kennen kein höheres Würfelspiel, als das um Tod und Leben: jeder Entscheidung über diese sehn wir mit der äußersten Spannung, Theilnahme und Furcht entgegen: denn es gilt, in unsern
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