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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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schwindet, und dann unmittelbar die tiefste Bewußtlosigkeit eintritt: die Empfindung dabei, so weit sie geht, ist nichts weniger als unangenehm, und ohne Zweifel ist, wie der Schlaf der Bruder, so die Ohnmacht der Zwillingsbruder des Todes. Auch der gewaltsame Tod kann nicht schmerzlich seyn; da selbst schwere Verwundungen in der Regel gar nicht gefühlt, sondern erst eine Weile nachher, oft nur an ihren äußerlichen Zeichen bemerkt werden: sind sie schnell tödtlich; so wird das Bewußtseyn vor dieser Entdeckung schwinden: tödten sie später; so ist es wie bei andern Krankheiten. Auch alle Die, welche im Wasser, oder durch Kohlendampf, oder durch Hängen das Bewußtseyn verloren haben, sagen bekanntlich aus, daß es ohne Pein geschehn sei. Und nun endlich gar der eigentlich naturgemäße Tod, der durch das Alter, die Euthanasie, ist ein allmäliges Verschwinden und Verschweben aus dem Daseyn, auf unmerkliche Weise. Nach und nach erlöschen im Alter die Leidenschaften und Begierden, mit der Empfänglichkeit für ihre Gegenstände; die Affekte finden keine Anregung mehr: denn die vorstellende Kraft wird immer schwächer, ihre Bilder matter, die Eindrücke haften nicht mehr, gehn spurlos vorüber, die Tage rollen immer schneller, die Vorfälle verlieren ihre Bedeutsamkeit, Alles verblaßt. Der Hochbetagte wankt umher, oder ruht in einem Winkel, nur noch ein Schatten, ein Gespenst seines ehemaligen Wesens. Was bleibt da dem Tode noch zu zerstören? Eines Tages ist dann ein Schlummer der letzte, und seine Träume sind – – – Es sind die, nach welchen schon Hamlet frägt, in dem berühmten Monolog. Ich glaube, wir träumen sie eben jetzt.
    Hieher gehört noch die Bemerkung, daß die Unterhaltung des Lebensprocesses, wenn sie gleich eine metaphysische Grundlage hat, nicht ohne Widerstand, folglich nicht ohne Anstrengung vor sich geht. Diese ist es, welcher der Organismus jeden Abend unterliegt, weshalb er dann die Gehirnfunktion einstellt und einige Sekretionen, die Respiration, den Puls und die Wärmeentwickelung vermindert. Daraus ist zu schließen, daß das gänzliche Aufhören des Lebensprocesses für die treibende Kraft desselben eine wundersame Erleichterung seyn muß: vielleicht hat diese Antheil an dem Ausdruck süßer Zufriedenheit auf dem Gesichte der meisten Todten. Ueberhaupt mag der Augenblick des Sterbens dem des Erwachens aus einem schweren, alpgedrückten Traume ähnlich seyn.
    Bis hieher hat sich uns ergeben, daß der Tod, so sehr er auch gefürchtet wird, doch eigentlich kein Uebel seyn könne. Oft aber erscheint er sogar als ein Gut, ein Erwünschtes, als Freund Hain. Alles, was auf unüberwindliche Hindernisse seines Daseyns, oder seiner Bestrebungen gestoßen ist, was an unheilbaren Krankheiten, oder an untröstlichem Grame leidet, – hat zur letzten, meistens sich ihm von selbst öffnenden Zuflucht die Rückkehr in den Schooß der Natur, aus welchem es, wie alles Andere auch, auf eine kurze Zeit heraufgetaucht war, verlockt durch die Hoffnung auf günstigere Bedingungen des Daseyns, als ihm geworden, und von wo aus ihm der selbe Weg stets offen bleibt. Jene Rückkehr ist die cessio bonorum des Lebenden. Jedoch wird sie auch hier erst nach einem physischen, oder moralischen Kampfe angetreten: so sehr sträubt Jedes sich, dahin zurückzugehn, von wo es so leicht und bereitwillig hervorkam, zu einem Daseyn, welches so viele Leiden und so wenige Freuden zu bieten hat. – Die Hindu geben dem Todesgotte Yama zwei Gesichter: ein sehr furchtbares und schreckliches, und ein sehr freudiges und gütiges. Dies erklärt sich zum Theil schon durch die eben angestellte Betrachtung.
    Auf dem empirischen Standpunkt, auf welchem wir noch immer stehn, ist auch die folgende Betrachtung eine sich von selbst darbietende, die daher verdient, durch Verdeutlichung genau bestimmt und dadurch in ihre Gränzen zurückgewiesen zu werden. Der Anblick eines Leichnams zeigt mir, daß Sensibilität, Irritabilität, Blutumlauf, Reproduktion u.s.w. hier aufgehört haben. Ich schließe daraus mit Sicherheit, daß Dasjenige, welches diese bisher aktuirte, jedoch ein mir stets Unbekanntes war, sie jetzt nicht mehr aktuirt, also von ihnen gewichen ist. – Wollte ich nun aber hinzusetzen, dies müsse eben Das gewesen seyn, was ich nur als Bewußtseyn, mithin als Intelligenz, gekannt habe (Seele); so wäre dies nicht bloß unberechtigt, sondern offenbar falsch geschlossen. Denn stets hat das Bewußtseyn sich mir nicht als Ursache,

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