Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
nicht bloß die eine Seite, die der Vorstellung, kenne, sondern auch die zweite, welche Wille heißt. Statt also zu glauben, ich würde meine eigene Organisation, dann mein Erkennen und Wollen und meine Bewegung auf Motive, besser verstehn, wenn ich sie nur zurückführen könnte auf Bewegung aus Ursachen, durch Elektricität, durch Chemismus, durch Mechanismus; muß ich, sofern ich Philosophie, nicht Aetiologie suche, umgekehrt auch die einfachsten und gemeinsten Bewegungen des unorganischen Körpers, die ich auf Ursachen erfolgen sehe, zuvörderst ihrem innern Wesen nach verstehn lernen aus meiner eigenen Bewegung auf Motive, und die unergründlichen Kräfte, welche sich in allen Körpern der Natur äußern, für der Art nach als identisch mit Dem erkennen, was in mir der Wille ist, und für nur dem Grade nach davon verschieden. Dies heißt: die in der Abhandlung über den Satz vom Grund aufgestellte vierte Klasse der Vorstellungen muß mir der Schlüssel werden zur Erkenntniß des innern Wesens der ersten Klasse, und aus dem Gesetz der Motivation muß ich das Gesetz der Kausalität, seiner innern Bedeutung nach, verstehn lernen.
Spinoza sagt (epist. 62) , daß der durch einen Stoß in die Luft fliegende Stein, wenn er Bewußtsein hätte, meinen würde, aus seinem eigenen Willen zu fliegen. Ich setze nur noch hinzu, daß der Stein Recht hätte. Der Stoß ist für ihn, was für mich das Motiv, und was bei ihm als Kohäsion, Schwere, Beharrlichkeit im angenommenen Zustande erscheint, ist, dem innern Wesen nach, das Selbe, was ich in mir als Willen erkenne, und was, wenn auch bei ihm die Erkenntniß hinzuträte, auch er als Willen erkennen würde. Spinoza, an jener Stelle, hatte sein Augenmerk auf die Nothwendigkeit, mit welcher der Stein fliegt, gerichtet und will sie, mit Recht, übertragen auf die Nothwendigkeit des einzelnen Willensaktes einer Person. Ich hingegen betrachte das innere Wesen, welches aller realen Nothwendigkeit (d.i. Wirkung aus Ursache), als ihre Voraussetzung, erst Bedeutung und Gültigkeit ertheilt, beim Menschen Charakter, beim Stein Qualität heißt, in Beiden aber das Selbe ist, da wo es unmittelbar erkannt wird, Wille genannt, und welches im Stein den schwächsten, im Menschen den stärksten Grad der Sichtbarkeit, Objektität, hat. – Dieses im Streben aller Dinge mit unserm Wollen Identische hat sogar der heilige Augustinus, mit richtigem Gefühl, erkannt, und ich kann mich nicht entbrechen, seinen naiven Ausdruck der Sache herzusetzen: Si pecora essemus, carnalem vitam et quod secundum sensum ejusdem est amaremus, idque esset sufficiens bonum nostrum, et secundum hoc si esset nobis bene, nihil aliud quaereremus. Item, si arbores essemus, nihil quidem sentientes motu amare possemus: verumtamen id quasi appetere videremur, quo feracius essemus, uberiusque fructuosae. Si essemus lapides, aut fluctus, aut ventus, aut flamma, vel quid ejusmodi, sine ullo quidem sensu atque vita, non tamen nobis deesset quasi quidam nostrorum locorum atque ordinis appetitus . Nam velut amores corporum momenta sunt ponderum, sive deorsum gravitate, sive sursum levitate nitantur: ita enim corpus pondere, sicut animus amore fertur quocunque fertur. (de civ. Dei, XI, 28).
Noch verdient bemerkt zu werden, daß schon Euler einsah, das Wesen der Gravitation müsse zuletzt auf eine den Körpern eigenthümliche »Neigung und Begierde« (also Willen) zurückgeführt werden (im 68. Briefe an die Prinzessin). Sogar macht gerade Dies ihn dem Begriffe der Gravitation, wie er bei Neuton dasteht, abhold, und er ist geneigt, eine Modifikation desselben gemäß der frühem Cartesianischen Theorie zu versuchen, also die Gravitation aus dem Stoße eines Aethers auf die Körper abzuleiten, als welches »vernünftiger und den Leuten, die helle und begreifliche Grundsätze lieben«, angemessener wäre. Die Attraktion will er als qualitas occulta aus der Physik verbannt sehn. Dies ist eben nur der todten Naturansicht, welche, als Korrelat der immateriellen Seele, zu Eulers Zeit herrschte, gemäß: allein es ist beachtenswerth in Hinsicht auf die von mir aufgestellte Grundwahrheit, welche nämlich schon damals dieser feine Kopf aus der Ferne durchschimmern sehend, bei Zeiten umzukehren sich beeilte und nun, in seiner Angst, alle damaligen Grundansichten gefährdet zu sehn, sogar beim alten, bereits abgethanen Absurden Schutz suchte.
§ 25
Wir wissen, daß die Vielheit überhaupt nothwendig durch Zeit und Raum bedingt und nur in
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