Die Welt aus den Fugen
für die Autonomie entscheiden ⦠Nach der Abstimmung blieb ich noch für die Interimszeit Pressesprecher, dann ging ich zurück zur »Saarbrücker Zeitung«.
1956 verlieÃen Sie Deutschland in Richtung Libanon, um in Beirut Hocharabisch zu studieren. Hocharabisch ist nicht ganz leicht zu lernen. Sind Sie ein Sprachgenie?
Das ist fünfzig Jahre her, ich habe inzwischen sehr viel vergessen. Damals konnte ich Hocharabisch lesen und schreiben. Im Examen muÃten wir auch kurze Aufsätze verfassen, darin war ich ziemlich gut. Wir hatten ganz verschiedene Professoren, darunter Sunniten, Christen und Schiiten. Den Koranunterricht leiteten seltsamerweise Jesuiten. Das war eine hochinteressante Zeit.
Aber wenn man im Libanon Hocharabisch spricht, ist es so, als würde man in Italien Latein sprechen. Verschiedene Zitate aus dem Koran habe ich dennoch behalten. Es kann lebensrettend sein, wenn man ein paar Sätze aus dem Koran zitieren kann. Als ich mit den Mujahidin in Afghanistan unterwegs war, und sie schrien »Allahu akbar«, »Gott ist groë, konnte ich problemlos mitschreien. Das hilft sehr. Einmal kam ein Greis auf mich zu und umarmte mich: »Bist du der Mensch, der die Sprache des Propheten studiert hat?« Ich befand mich damals bei den Mujahidin in völliger Sicherheit und stand quasi unter dem Schutz von Gulbuddin Hekmatyar, dem Führer der Hezb-e-Islami, der härtesten islamischen Partei Afghanistans. Damals war der Krieg gegen die Sowjetunion in vollem Gange.
Ich habe mal ein Interview mit dem Unterhaltungskünstler Hans Rosenthal gehört. Er war während der Nazizeit als Jude in Berlin versteckt gewesen. Nach der Befreiung 1945 lief er ganz glücklich durch die StraÃen Berlins und traf auf eine sowjetische Patrouille. Die Sowjets dachten, er sei ein SS-Mann, und wollten ihn standesrechtlich erschieÃen. Er sagte: »Nein, ich bin Jude, ich habe mich zwei Jahre lang versteckt.« Aber sie glaubten ihm nicht. Zum Glück war einer der sowjetischen Soldaten ebenfalls Jude und forderte ihn auf, auf hebräisch zu beten. Rosenthal betete, und sie lieÃen ihn gehen. Mich hat das sehr beeindruckt. Was ich trotzdem noch nicht ganz verstanden habe: Wie kommt man als junger Mann mit einem lukrativen Job auf die Idee, von Saarbrücken nach Beirut zu gehen, um Arabisch zu studieren?
Ich war politischer Redakteur bei der »Saarbrücker Zeitung«, und wenn ich nicht gestrampelt hätte, wäre ich bis zu meinem 65. Lebensjahr dort geblieben und heute pensionierter Redakteur dieser Zeitung. Aber ich hatte wahnsinniges Glück. Mein Chefredakteur war Luxemburger, und da ich sehr gute Beziehungen zu den Franzosen hatte, befürchtete er, daà ich eventuell einmal seinen Platz einnehmen würde. Also schickte er mich auf Reisen quer durch die ganze Welt.
Sie haben fast alle Länder dieser Erde bereist. Sie gelten unter anderem als Nahost-, Afrika- und Vietnam-Experte. Wie erobern Sie sich ein Land?
Zunächst einmal mache ich meine Hausaufgaben. Ich lese alle Bücher, die ich bekommen kann, ich pauke regelrecht. Und ich muà ehrlich sagen, daà mir mein Pariser Studium der Politikwissenschaft immer wieder geholfen hat. Bereits da habe ich gelernt, daà es im Südsudan drei mächtige schwarze Stämme gibt: die Nuer, die Schilluk und die Dinka. Trotzdem versuche ich, ohne vorgefaÃte Meinung in ein fremdes Land zu reisen. Das ist ganz wichtig. AuÃerdem sollte man eine gewisse Sympathie für die Menschen eines Landes mitbringen. Ich hege zum Beispiel eine ganz besondere Sympathie für die Kongolesen. Die mag ich einfach, auch wenn ich sie schon in einem schrecklichen Zustand erlebt habe.
In Afghanistan war ich lange mit den Mujahidin unterwegs. Wenn man das gemacht hat, zögert man, bevor man die Worte »Verbrecher« oder »Terrorist« in den Mund nimmt. Das waren hochmotivierte Leute. Der Führer unserer Gruppe war eine Art Heiliger. Er war eben nach einem anderen Weltbild als dem unseren geformt. Er war Prediger, politischer Führer und Krieger â das entspricht dem Bild des Propheten. Das ist übrigens der Unterschied zwischen Jesus und Mohammed: MohamÂmed war Feldherr und Krieger. Das darf man nie vergessen.
Das heiÃt also, Sie lesen sich in die Materie ein, und wenn Sie vor Ort sind, sprechen Sie mit möglichst vielen Einheimischen und versuchen, deren Alltag
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