Die Welt aus den Fugen
WDR-Intendant regeln. Ich sei dazu auserkoren, alle Parteien würden für mich stimmen. Ich war damals gerade 47 Jahre alt, und der Gedanke, den Rest meines Lebens in der Verwaltung der ARD zu verbringen, war mir ein Greuel. Also ging ich unter Bruch meines Vertrages von einem Tag zum anderen zum ZDF, wo ich nach eigenem Gutdünken meine Reportagen auswählen konnte.
Im August 1973 gerieten Sie in Vietnam in Gefangenschaft der südvietnamesischen Freiheitskämpfer, also der Vietcong. Wie konn te das passieren?
Das war in der Zeit, als zwischen den Vietcong und Südvietnam ein trügerischer Waffenstillstand herrschte. Kein Mensch wuÃte, wie die Lage war, niemand hatte eine Ahnung, wo sich die Vietcong genau befanden. Also stieg ich mit meinem Team in zwei Autos, und wir machten uns auf den Weg. Siebzig Kilometer nördlich von Saigon fuhren wir an einer Stellung der Südvietnamesen vorbei in feindliches Territorium. Eigentlich hätten sie uns aufhalten müssen, aber sie dachten wohl, wir seien Amerikaner, und lieÃen uns passieren. Dann sah ich das Schild der Vietcong und sagte: »Hier halten wir an und drehen eine kurze Moderation.« Während ich noch vor der Kamera stand, raschelte es plötzlich im Gebüsch. Heraus kamen kleine grüne Männer mit Gewehren.
Zu diesem Zeitpunkt waren die echten Vietcong so gut wie ausgerottet. Diese Kämpfer waren reguläre Nordvietnamesen und glaubten, wir seien CIA-Agenten und keine Journalisten. Nun kannte ich die Vietnamesen, ich mochte sie auch und wuÃte, daà man am besten freundlich grinst und dann versuchen muÃ, ihnen die Hand zu schütteln, so daà sie ihr Gewehr in die linke Hand nehmen und nicht mehr schieÃen können. Wir verhandelten mit ihnen, und ich merkte, daà es ordentÂliche Leute waren. Sie konfiszierten unser Material und gaben uns sogar eine Quittung darüber â da wuÃte ich, daà uns nicht viel passieren würde. Sie führten uns dann in einem sehr langen Marsch zu ihrem Dschungellager. Als wir dort ankamen, gaben sie uns Pillen und meinten, ein Drittel von ihnen habe Malaria, wir sollten lieber vorbeugen. Dann erklärten sie uns, daà sie wenig zu essen hätten, woraufhin ich meinte, daà das kein Problem sei, wir würden auch Reis mit FischsoÃe essen. Aber nicht einmal das hatten sie, es gab nur Reis mit Salzwasser. Als sie nach drei Tagen sicher waren, daà wir wirklich Journalisten waren, durften wir die Kamera rausholen und im Lager Aufnahmen machen. Wir haben uns sogar mit ihnen angefreundet und am Ende noch eine Flasche Wodka aus Hanoi bekommen.
Das Schwierigste auf dem Rückweg war dann der Ãbergang nach Südvietnam, denn dort war alles vermint. Als wir auch das geschafft hatten, wollten uns die Südvietnamesen verhören. Doch dann wurde die deutsche Botschaft aktiv â und am Abend waren wir frei.
Der Film, den Sie dort im Lager gedreht haben, erregte weltweit Aufmerksamkeit.
Es war eine ziemlich einmalige Geschichte. Wir konnten die Ãbungen und die ideologischen Schulungen der Vietcong filmen. Das lief dort im Grunde wie in einem Priesterseminar ab. Alles war von einer absoluten Korrektheit im Umgang miteinander geprägt. Einer unserer Betreuer war ein echter Vietcong aus dem Süden, der überlebt hatte. Wir nannten ihn »Pater«, weil er uns wie ein Geistlicher betreute.
Ab wann wuÃten Sie, daà der Vietnamkrieg falsch war?
Als die amerikanischen Marines 1965 in Vietnam einfielen, bekam ich einen Anruf vom WDR und flog sofort hin. Ich sah mir die Situation an und sagte: »Das geht schief. Der Krieg wird auf dem Boden entschieden, da sind die Amerikaner einfach nicht gut genug.« Ich hatte ja zum einen die Erfahrung des französischen Indochina-Krieges. Zum anderen war ich immer wieder als Journalist in Vietnam gewesen.
In Deutschland herrschte damals eine groÃe Amerika-Euphorie. Es war fast schon ungehörig, an einem Sieg der Amerikaner zu zweifeln. Das war übrigens eines der wenigen Male in meinem Leben, in denen die Politik versuchte, Einfluà auf meine Berichterstattung zu nehmen. Das Auswärtige Amt unter dem damaligen AuÃenminister Gerhard Schröder intervenierte bei Klaus von Bismarck und forderte ihn auf, mich zu stoppen. Sie hielten meine Ansichten für antiamerikanisch. Meine Berichte waren nicht antiamerikanisch, im Gegenteil â wenn die Amerikaner auf mich
Weitere Kostenlose Bücher