Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
sofort seine Demission geben mußte, und die Oper wurde verboten. Sie ist in deutscher Sprache nur in der freien Schweiz und in Prag in Szene gegangen, später noch italienisch in der Mailänder Scala mit dem besonderen Einverständnis Mussolinis, der sich damals dem Rassenstandpunkt noch nicht unterworfen hatte. Das deutsche Volk aber hat nie mehr einen Ton aus dieser teilweise bezaubernden Altersoper seines größten lebenden Musikers hören dürfen.
Während sich diese Angelegenheit unter ziemlichem Getöse vollzog, lebte ich im Ausland, denn ich spürte, daß die Unruhe in Österreich mir ruhige Arbeit unmöglich machte. Mein Haus in Salzburg lag so nahe der Grenze, daß ich mit freiem Auge den Berchtesgadener Berg sehen konnte, auf dem Adolf Hitlers Haus stand, eine wenig erfreuliche und sehr beunruhigende Nachbarschaft. Diese Nähe der deutschen Reichsgrenze gab mir allerdings auch Gelegenheit, besser als meine Freunde in Wien die Bedrohlichkeit der österreichischen Situation zu beurteilen. Dort betrachteten die in den Cafés Sitzenden und sogar auch die Leute in den Ministerien den Nationalsozialismus als eine Angelegenheit, die ›drüben‹ geschah und Österreich nicht im mindesten berühren konnte. War denn nicht die sozialdemokratische Partei mit ihrer straffen Organisation zur Stelle, die beinahe die Hälfte der Bevölkerung geschlossen hinter sich hatte? War nicht auch die klerikale Partei mit ihr in leidenschaftlicher Abwehr einig, seit Hitlers ›deutsche Christen‹ das Christentum offen verfolgten und ihren Führer offen und wörtlich ›größer als Christus‹ nannten? Waren nicht Frankreich, England, der Völkerbund Österreichs Schirmherren? Hatte nicht Mussolini ausdrücklich das Protektorat und sogar die Garantie der österreichischen Unabhängigkeit übernommen? Selbst die Juden sorgten sich nicht und taten, als ob die Entrechtung der Ärzte, der Rechtsanwälte, der Gelehrten, der Schauspieler in China vor sich ginge und nicht drei Stunden weit drüben im gleichen Sprachgebiet. Sie saßen behaglich in ihren Häusern und fuhren in ihren Automobilen. Außerdem hatte jeder das Trostsprüchlein bereit: »Das kann nicht lange dauern.« Ich aber erinnerte mich an ein Gespräch, das ich auf meiner kurzen russischen Reise mit meinem ehemaligen Verleger in Leningrad gehabt. Er hatte mir erzählt, ein wie reicher Mann er früher gewesen, was für schöne Bilder er besessen, und ich hatte ihn gefragt, warum er denn nicht gleich bei Ausbruch der Revolution wie so viele andere weggegangen sei. »Ach«, hatte er mir geantwortet, »wer konnte denn damals glauben, eine solche Sache wie eine Räte- und Soldatenrepublik würde länger als vierzehn Tage dauern?« Es war die gleiche Täuschung aus dem gleichen Lebenswillen, sich selbst zu täuschen.
In Salzburg freilich, knapp an der Grenze, sah man die Dinge deutlicher. Es begann ein fortwährendes Hin und Her über den schmalen Grenzfluß, die jungen Leute schlichen nachts hinüber und wurden einexerziert, die Agitatoren kamen in Autos oder mit Bergstöcken als schlichte ›Touristen‹ über die Grenze und organisierten in allen Ständen ihre ›Zellen‹. Sie begannen zu werben und gleichzeitig zu drohen, daß, wer nicht rechtzeitig sich bekenne, später dafür werde bezahlen müssen. Das schüchterte die Polizisten, die Staatsbeamten ein. Immer mehr spürte ich an einer gewissen Unsicherheit im Betragen, wie die Leute zu schwanken begannen. Nun sind im Leben immer die kleinen persönlichen Erlebnisse die überzeugendsten. Ich hatte in Salzburg einen Jugendfreund, einen recht bekannten Schriftsteller, mit dem ich durch dreißig Jahre in innigstem, herzlichstem Verkehr gestanden hatte. Wir duzten uns, wir hatten uns gegenseitig Bücher gewidmet, wir trafen uns jede Woche. Eines Tages sah ich nun diesen alten Freund auf der Straße mit einem fremden Herrn und merkte, daß er sofort bei einer ihm ganz gleichgültigen Auslage stehenblieb und diesem Herrn mit mir zugewendetem Rücken dort ungemein interessiert etwas zeigte. Sonderbar, dachte ich: er muß mich doch gesehen haben. Aber das konnte Zufall sein. Am nächsten Tage telephonierte er mir plötzlich, ob er nachmittags auf einen Plausch zu mir kommen könne. Ich sagte zu, etwas verwundert, denn sonst trafen wir uns immer im Kaffeehaus. Es ergab sich, daß er mir nichts Besonderes zu sagen hatte trotz dieses eiligen Besuchs. Und es war mir sofort klar, daß er einerseits die Freundschaft mit mir
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