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Die Welt von Gestern

Die Welt von Gestern

Titel: Die Welt von Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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heute keine Zeile von mir lesen darf. Ähnlich ging es mir bei meinem fast pathologischen Selbstmißtrauen mit meiner Bearbeitung des ›Volpone‹. Ich hatte vor, eine Fassung in Versen zu machen, und schrieb mir in neun Tagen leicht und locker in Prosa die Szenen hin. Da zufällig das Hoftheater in Dresden, dem ich durch die Erstaufführung meines Erstlings ›Thersites‹ mich moralisch verpflichtet fühlte, in diesen Tagen angefragt hatte nach neuen Plänen, sandte ich ihm die Prosafassung, mich entschuldigend: was ich vorlege, sei nur eine erste Skizze für die geplante Ausarbeitung in Versen. Aber das Theater telegraphierte sofort zurück, ich solle um Himmels willen nichts ändern;
tatsächlich ist das Stück in dieser Form dann über alle Bühnen der Welt gegangen (in New York bei der Theatre Guild mit Alfred Lunt). Was immer ich in jenen Jahren unternahm, – der Erfolg und eine ständig wachsende deutsche Leserschaft blieb mir treu.
    Da ich es immer als meine Pflicht empfand, bei fremden Werken oder Gestalten biographisch oder essayistisch den Ursachen ihrer Wirkung oder Unwirkung innerhalb ihrer Zeit nachzugehen, konnte ich in manchen nachdenklichen Stunden nicht umhin, mich zu fragen, in welcher besonderen Eigenschaft meiner Bücher ihr für mich so unvermuteter Erfolg eigentlich begründet war. Letzten Endes glaube ich, stammt er von einer persönlichen Untugend her, nämlich daß ich ein ungeduldiger und temperamentvoller Leser bin. Jede Weitschweifigkeit, alles Schwelgerische und Vage-Schwärmerische, alles Undeutliche und Unklare, alles Überflüssig-Retardierende in einem Roman, einer Biographie, einer geistigen Auseinandersetzung irritiert mich. Nur ein Buch, das ständig, Blatt für Blatt, die Höhe hält und bis zur letzten Seite in einem Zuge atemlos mitreißt, gibt mir einen vollkommenen Genuß. Neun Zehntel aller Bücher, die mir in die Hand geraten, finde ich mit überflüssigen Schilderungen, geschwätzigen Dialogen und unnötigen Nebenfiguren zu sehr ins Breite gedehnt und darum zu wenig spannend, zu wenig dynamisch. Selbst bei den berühmtesten klassischen Meisterwerken stören mich die vielen sandigen und schleppenden Stellen, und oft habe ich Verlegern den kühnen Plan entwickelt, einmal in einer übersichtlichen Serie die ganze Weltliteratur von Homer über Balzac und Dostojewskij bis zum ›Zauberberg‹ mit gründlicher Kürzung des individuell Überflüssigen herauszugeben, dann könnten alle diese Werke, die zweifellos überzeitlichen Gehalt haben, erneut lebendig in unserer Zeit wirken.
    Diese Abneigung gegen alles Weitschweifige und Langwierige mußte sich notwendigerweise von der Lektüre fremder Werke auf das Schreiben der eigenen übertragen und mich zu einer besonderen Wachsamkeit erziehen. An und für sich produziere ich leicht und fließend, in der ersten Fassung eines Buches lasse ich die Feder locker laufen und fabuliere weg, was mir am Herzen liegt. Ebenso verwerte ich bei einem biographischen Werke zunächst alle nur denkbaren dokumentarischen Einzelheiten, die mir zu Gebote stehen; bei einer Biographie wie ›Marie Antoinette‹ habe ich tatsächlich jede einzelne Rechnung nachgeprüft, um ihren persönlichen Verbrauch festzustellen, alle zeitgenössischen Zeitungen und Pamphlete studiert, alle Prozeßakten bis auf die letzte Zeile durchgeackert. Aber im gedruckten Buch ist von all dem keine Zeile mehr zu finden, denn kaum daß die erste ungefähre Fassung eines Buches ins Reine geschrieben ist, beginnt für mich die eigentliche Arbeit, die des Kondensierens und Komponierens, eine Arbeit, an der ich mir von Version zu Version nicht genug tun kann. Es ist ein unablässiges Ballast-über-Bord-werfen, ein ständiges Verdichten und Klären der inneren Architektur; während die meisten andern sich nicht entschließen können, etwas zu verschweigen, was sie wissen, und mit einer gewissen Verliebtheit in jede gelungene Zeile sich weiter und tiefer zeigen wollen, als sie eigentlich sind, ist es mein Ehrgeiz, immer mehr zu wissen, als nach außen hin sichtbar wird.
    Dieser Prozeß der Kondensierung und damit Dramatisierung wiederholt sich dann noch einmal, zweimal und dreimal bei den gedruckten Fahnen; es wird schließlich eine Art lustvoller Jagd, noch einen Satz oder auch nur ein Wort zu finden, dessen Fehlen die Präzision nicht vermindern und gleichzeitig das Tempo steigern könnte. Innerhalb meiner Arbeit ist mir die des Weglassens eigentlich die vergnüglichste. Und ich

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