Die Welt von Gestern
Schon als Knabe waren mir jene Schriftsteller und Künstler der früheren Generation immer unverständlich, die durch Samtjacken und wallendes Haar, durch niederhängende Stirnlocken wie etwa meine verehrten Freunde Arthur Schnitzler und Hermann Bahr, oder durch auffallende Barttracht und extravagante Kleidung sich schon auf der Straße erkenntlich machen wollten. Ich bin überzeugt, daß jedes Bekanntwerden der physischen Erscheinung einen Menschen unbewußt verleitet, nach Werfels Wort als ›Spiegelmensch‹ seines eigenen Ich zu leben, in jeder Geste einen gewissen Stil anzunehmen, und mit dieser Veränderung der äußeren Haltung geht gewöhnlich Herzlich
keit, Freiheit und Unbekümmertheit der inneren Natur verloren. Wenn ich heute noch einmal anfangen könnte, würde ich darum trachten, diese beiden Glückszustände, den des literarischen Erfolgs und den der persönlichen Anonymität gleichsam verdoppelt zu genießen, indem ich meine Werke unter einem anderen, einem erfundenen Namen, unter einem Pseudonym veröffentlichte; denn ist schon das Leben an sich reizvoll und voll von Überraschungen, wie erst das Doppelleben!
SONNENUNTERGANG
Es war – dankbar will ich mich dessen immer wieder erinnern – für Europa eine verhältnismäßig ruhige Zeit, dieses Jahrzehnt von 1924 bis 1933, ehe jener eine Mensch unsere Welt verstörte. Gerade weil sie an den Beunruhigungen so schwer gelitten, nahm unsere Generation den relativen Frieden als unverhofftes Geschenk. Wir alle hatten das Gefühl, man müsse nachholen, was die schlimmen Jahre des Kriegs und des Nachkriegs aus unserem Leben an Glück, an Freiheit, an geistiger Konzentration gestohlen; man arbeitete mehr und doch entlasteter, man wanderte, man versuchte, man entdeckte sich wieder Europa, die Welt. Nie sind die Menschen so viel gereist wie in diesen Jahren, – war es die Ungeduld der jungen Leute, hastig gutzumachen, was sie versäumt in ihrem gegenseitigen Abgesperrtsein? War es vielleicht ein dunkles Vorgefühl, man müsse noch rechtzeitig ausbrechen aus der Enge, ehe die Sperre wieder von neuem begann?
Auch ich reiste viel in jener Zeit, nur war es schon ein anderes Reisen als in den Tagen meiner Jugend. Denn ich war jetzt in den Ländern kein Fremder mehr, überall hatte ich Freunde, Verleger, ein Publikum, ich kam als der Autor meiner Bücher und nicht mehr als der anonyme Neugierige von einst. Das brachte allerhand Vorteile. Ich konnte mit stärkerem Nachdruck und breiterer Wirkung für die Idee werben, die seit Jahren die eigentliche meines Lebens geworden: für die geistige Einigung Europas. Ich hielt in diesem Sinne Vorlesungen in der Schweiz, in Holland, ich sprach französisch im Palais des Arts in Brüssel, italienisch in Florenz in der historischen Sala dei Dugento, wo Michelangelo und Lionardo gesessen, englisch in Amerika auf einer lecture tour vom Atlantischen zum Pazi
fischen Ozean. Es war ein anderes Reisen; überall sah ich jetzt kameradschaftlich die Besten des Landes, ohne sie suchen zu müssen; die Männer, zu denen ich in meiner Jugend ehrfürchtig aufgesehen und denen ich nie eine Zeile zu schreiben gewagt hätte, waren mir Freunde geworden. Ich trat in Kreise, die sonst sich dem Fremden hochmütig verschließen, ich sah die Palais des Faubourg St. Germain, die Palazzi Italiens, die privaten Sammlungen; in den öffentlichen Bibliotheken stand ich nicht mehr bittend am Schalter der Bücherausgabe, sondern die Direktoren zeigten mir persönlich die verborgenen Schätze, bei den Antiquaren der Dollarmillionäre wie Dr. Rosenbach in Philadelphia, an deren Läden der kleine Sammler mit scheuem Blick vorbeigegangen, war ich zu Gast. Ich hatte zum erstenmal Einblick in die sogenannte ›obere‹ Welt und dazu die Behaglichkeit, die Bequemlichkeit, daß ich niemanden um Einlaß bemühen mußte, sondern daß alles an mich herankam. Aber sah ich damit die Welt besser? Immer wieder überkam mich Sehnsucht nach den Reisen meiner Jugend, wo niemand einen erwartete und durch die Abgeschiedenheit alles geheimnisvoller erschien; so wollte ich von der alten Art des Wanderns auch nicht lassen. Wenn ich nach Paris kam, hütete ich mich, selbst die besten Freunde wie Roger Martin du Gard, Jules Romains, Duhamel, Masereel gleich am Tage der Ankunft zu verständigen. Erst wollte ich wieder, wie einst als Student, ungehemmt und unerwartet durch die Straßen streifen. Ich suchte die alten Cafés auf und die kleinen Wirtshäuser, ich spielte mich in meine
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