Die Welt von Gestern
einflußreichen Stellungen hätte. Vielleicht könnten die im stillen zu seinen Gunsten wirken.
Ich versuchte es gleich am ersten Tage. Aber ich sah, wie sehr schon die Furcht sich in die Seelen eingefressen hatte. Kaum nannte ich den Namen, wurde jeder verlegen. Nein, er habe da keinen Einfluß. Es sei völlig unmöglich. So ging es von einem zum andern. Ich kam beschämt zurück, denn vielleicht konnte die Unglückliche glauben, ich hätte nicht das Äußerste versucht. Und ich hatte es auch nicht versucht. Es blieb noch eine Möglichkeit – der gerade, der offene Weg: an den Mann, in dessen Händen die Entscheidung lag, an Mussolini selbst zu schreiben.
Ich tat es. Ich richtete einen wirklich ehrlichen Brief an ihn. Ich wollte nicht mit Schmeicheleien beginnen, schrieb ich, und auch gleich zu Anfang sagen, daß ich den Mann sowie das Ausmaß seines Beginnens nicht kenne. Aber ich hätte seine
Frau gesehen, die zweifellos unschuldig sei, und auch auf sie falle die volle Wucht der Strafe, wenn ihr Mann diese Jahre im Zuchthaus verbringe. Ich wolle keineswegs Kritik an dem Urteil üben, aber ich könne mir denken, daß es für die Frau Lebensrettung bedeute, wenn ihr Mann statt ins Zuchthaus auf eine der Gefangenen-Inseln gebracht werde, wo es Frauen und Kindern gestattet ist, mit den Exilierten zu wohnen.
Ich nahm den Brief und warf ihn, an Seine Exzellenz Benito Mussolini adressiert, in den gewöhnlichen Salzburger Briefkasten. Vier Tage später schrieb mir die Wiener Italienische Gesandtschaft, Seine Exzellenz lasse mir danken und sagen, daß er meinem Wunsche stattgegeben und auch eine Verkürzung der Strafzeit vorgesehen habe. Gleichzeitig kam aus Italien ein Telegramm, das bereits die erbetene Überführung bestätigte. Mit einem einzigen raschen Federstrich hatte Mussolini persönlich meine Bitte erfüllt, und tatsächlich wurde der Verurteilte auch bald völlig begnadigt. Kein Brief in meinem Leben hat mir mehr Freude und Genugtuung gebracht, und wenn je eines literarischen Erfolges, so denke ich dieses mit besonderer Dankbarkeit.
Es war gut in jenen Jahren der letzten Windstille zu reisen. Aber es war auch schön heimzukehren. Etwas Merkwürdiges hatte sich in aller Stille ereignet. Die kleine Stadt Salzburg mit ihren 40 000 Einwohnern, die ich mir gerade um ihrer romantischen Abgelegenheit willen gewählt, hatte sich erstaunlich verwandelt: sie war im Sommer zur künstlerischen Hauptstadt nicht nur Europas, sondern der ganzen Welt geworden. Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal hatten in den schwersten Nachkriegsjahren, um der Not der Schauspieler und Musiker abzuhelfen, die im Sommer brotlos waren, ein paar Aufführungen, vor allem jene berühmte Freilichtaufführung des ›Jeder
mann‹ auf dem Salzburger Domplatz veranstaltet, die zunächst aus der unmittelbaren Nachbarschaft Besucher anlockten; später hatte man es auch mit Opernaufführungen versucht, die sich immer besser, immer vollendeter anließen. Allmählich wurde die Welt aufmerksam. Die besten Dirigenten, Sänger, Schauspieler drängten sich ehrgeizig heran, der Gelegenheit froh, statt bloß vor ihrem eng heimischen auch vor einem internationalen Publikum ihre Künste zeigen zu können. Mit einemmal wurden die Salzburger Festspiele eine Weltattraktion, gleichsam die neuzeitlichen olympischen Spiele der Kunst, bei denen alle Nationen wetteiferten, ihre besten Leistungen zur Schau zu stellen. Niemand wollte mehr diese außerordentlichen Darstellungen missen. Könige und Fürsten, amerikanische Millionäre und Filmdivas, die Musikfreunde, die Künstler, die Dichter und Snobs gaben sich in den letzten Jahren in Salzburg Rendezvous; nie war in Europa eine ähnliche Konzentration der schauspielerischen und musikalischen Vollendung gelungen wie in dieser kleinen Stadt des kleinen und lange mißachteten Österreich. Salzburg blühte auf. In seinen Straßen begegnete man im Sommer jedwedem aus Europa und Amerika, der in der Kunst die höchste Form der Darbietung suchte, in Salzburger Landestracht – weiße kurze Leinenhosen und Joppen für die Männer, das bunte ›Dirndlkostüm‹ für die Frauen –, das winzige Salzburg beherrschte mit einemmal die Weltmode. In den Hotels kämpfte man um Zimmer, die Auffahrt der Automobile zum Festspielhaus war so prunkvoll wie einst jene zum kaiserlichen Hofball, der Bahnhof ständig überflutet; andere Städte versuchten diesen goldhaltigen Strom zu sich abzuziehen, keiner gelang es. Salzburg war und blieb
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