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Die Welt von Gestern

Die Welt von Gestern

Titel: Die Welt von Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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abgeschlossenen Raum, in einer Art Gasflasche inmitten der vierzig Millionen seiner Landsleute. Diese hermetische Isolierung eines einzelnen in einer Millionenstadt, einem Millionenland hatte für mich gleichzeitig etwas Gespenstisches und Großartiges. Noch wußte ich nicht, daß dies noch immer eine bedeutend mildere Form der geistigen Abtötung bedeutete, als sie später uns selber zuteil werden sollte, und konnte nicht umhin zu bewundern, welche Frische und geistige Spannkraft dieser immerhin schon alte Mann sich in dem täglichen Kampfe bewahrte. Aber er lachte. »Gerade der Widerstand ist es, der einen verjüngt. Wäre ich Senator geblieben, so hätte ich es leicht gehabt, ich wäre längst geistig träge und inkonsequent geworden. Nichts schadet dem geistigen Menschen mehr als Mangel am Widerstand; erst seit ich allein stehe und die Jugend nicht mehr um mich habe, bin ich genötigt, selbst wieder jung zu werden.«
    Aber einige Jahre mußten erst vergehen, bis auch ich verstand, daß Prüfung herausfordert, Verfolgung bestärkt und Vereinsamung steigert, sofern sie einen nicht zerbricht. Wie alle wesentlichen Dinge des Lebens lernt man derlei Erkenntnisse nie an fremden Erfahrungen, sondern immer nur an dem eigenen Schicksal.
    Daß ich den wichtigsten Mann Italiens, Mussolini, nie gesehen habe, ist meiner Gehemmtheit zuzuschreiben, mich politischen Persönlichkeiten zu nähern; selbst in meinem Vaterlande, dem kleinen Österreich, bin ich, was eigentlich ein Kunststück war, keinem von den führenden Staatsmännern – nicht Seipel, nicht Dollfuß, nicht Schuschnigg – je begegnet. Und
doch wäre es meine Pflicht gewesen, Mussolini, der, wie ich von gemeinsamen Freunden wußte, einer der ersten und besten Leser meiner Bücher in Italien war, persönlich Dank zu sagen für die spontane Art, in der er mir die erste Bitte, die ich je an einen Staatsmann gerichtet, erfüllt hatte.
    Das kam so. Eines Tages erhielt ich einen Eilbrief eines Freundes aus Paris, eine italienische Dame wolle mich in einer wichtigen Angelegenheit in Salzburg besuchen, ich möchte sie sofort empfangen. Sie meldete sich am nächsten Tage, und was sie mir sagte, war wirklich erschütternd. Ihr Mann, ein hervorragender Arzt aus armer Familie, war von Matteotti auf seine Kosten erzogen worden. Bei der brutalen Ermordung dieses sozialistischen Führers durch die Faschisten hatte das schon stark ermüdete Weltgewissen noch einmal erbittert gegen ein einzelnes Verbrechen reagiert. Ganz Europa hatte sich in Entrüstung erhoben. Der getreue Freund war nun einer jener sechs Couragierten gewesen, die damals gewagt hatten, öffentlich den Sarg des Ermordeten durch die Straßen von Rom zu tragen; kurz darauf war er, boykottiert und bedroht, ins Exil gegangen. Aber das Schicksal der Familie Matteottis ließ ihm keine Ruhe, er wollte in Erinnerung an seinen Wohltäter dessen Kinder aus Italien ins Ausland schmuggeln. Bei diesem Versuch war er in die Hände von Spionen oder Agents provocateurs gefallen und verhaftet worden. Da jede Erinnerung an Matteotti für Italien peinlich war, hätte ein Prozeß aus diesem Anlaß kaum sehr schlimm für ihn ausfallen können; aber der Prokurator schob ihn geschickt in einen anderen gleichzeitigen Prozeß hinüber, dem ein geplantes Bombenattentat gegen Mussolini zugrunde lag. Und der Arzt, der im Felde die höchsten Kriegsdekorationen erworben hatte, wurde zu zehn Jahren schwerem Zuchthaus verurteilt.
    Die junge Frau war verständlicherweise ungeheuer erregt.
Man müsse etwas gegen dieses Urteil tun, das ihr Mann nicht überleben könne. Man müsse alle literarischen Namen Europas zu einem lauten Protest vereinigen, und sie bitte mich, ihr behilflich zu sein. Ich riet sofort ab, etwas mit Protesten zu versuchen. Ich wußte, wie abgebraucht seit dem Kriege alle diese Manifestationen geworden waren. Ich versuchte ihr klarzumachen, daß schon aus Nationalstolz kein Land von außen seine Justiz korrigieren lasse und daß der europäische Protest im Falle Sacco und Vanzetti in Amerika eher ungünstige als fördernde Wirkung gehabt. Ich bat sie dringend, nichts in diesem Sinne zu tun. Sie würde bloß die Situation ihres Mannes verschlimmern, denn nie werde Mussolini, nie könne er, selbst wenn er wolle, eine Milderung anordnen, wenn man versuche, sie ihm von außen aufzunötigen. Aber ich versprach, aufrichtig erschüttert, mein Bestes zu tun. Ich ginge zufällig nächste Woche nach Italien, wo ich wohlmeinende Freunde in

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