Die Welt von Gestern
sondern der Reiz des Vereinens, die Gestaltung einer
Sammlung zum Kunstwerk. Ich war mir bewußt, mit dieser Sammlung etwas geschaffen zu haben, was als Gesamtheit des Überdauerns würdiger war als meine eigenen Werke. Trotz vielen Angeboten zögerte ich, einen Katalog zusammenzustellen, weil ich doch noch mitten im Bau und am Werke war und ungenügsam manche Namen und manche Stücke in den vollkommensten Formen noch entbehrte. Meine wohlerzogene Absicht war, diese einmalige Sammlung nach meinem Tode demjenigen Institut zu überlassen, das meine besondere Bedingung erfüllen würde, nämlich alljährlich eine bestimmte Summe auszusetzen, um die Sammlung weiterhin in meinem Sinne zu vervollständigen. So wäre sie nicht ein starres Ganzes geblieben, sondern lebendiger Organismus, fünfzig und hundert Jahre über mein eigenes Leben hinaus sich ergänzend und vervollständigend zu einer immer schöneren Ganzheit.
Aber unserer geprüften Generation ist es versagt, über sich hinaus zu denken. Als die Zeit Hitlers einsetzte und ich mein Haus verließ, war die Freude an meinem Sammeln dahin und auch die Sicherheit, irgend etwas bleibend zu erhalten. Eine Zeitlang ließ ich noch Teile in Safes und bei Freunden, aber dann entschloß ich mich, gemäß Goethes mahnendem Wort, daß Museen, Sammlungen und Rüstkammern, wenn man sie nicht fortentwickle, in sich erstarren, lieber Abschied zu nehmen von einer Sammlung, der ich meine gestaltende Mühe weiter nicht mehr geben konnte. Einen Teil schenkte ich zum Abschied der Wiener Nationalbibliothek, hauptsächlich jene Stücke, die ich selbst von zeitgenössischen Freunden zum Geschenk erhalten, einen Teil veräußerte ich, und was mit dem Rest geschah oder geschieht, beschwert meine Gedanken nicht sehr. Immer war nur das Schaffen meine Freude, nie das Geschaffene. So klage ich dem einst Besessenen nicht nach. Denn wenn wir Gejagten und Vertriebenen in diesen Zeiten, die je
der Kunst und jeder Sammlung feind sind, eine Kunst noch neu zu lernen hatten, so war es die des Abschiednehmens von allem, was einstens unser Stolz und unsere Liebe gewesen.
So gingen mit Arbeit und Reisen, mit Lernen, Lesen, Sammeln und Genießen die Jahre. Eines Novembermorgens 1931 wachte ich auf und war fünfzig Jahre alt. Dem braven weißhaarigen Salzburger Postboten schuf das Datum einen schlimmen Tag. Da in Deutschland die gute Gepflogenheit herrschte, den fünfzigsten Geburtstag eines Autors in den Zeitungen ausführlich zu feiern, hatte der alte Mann eine stattliche Fracht von Briefen und Telegrammen die steilen Stufen emporzuschleppen. Ehe ich sie öffnete und las, überdachte ich, was dieser Tag mir bedeutete. Das fünfzigste Lebensjahr meint eine Wende; man blickt beunruhigt zurück; wieviel seines Weges man schon gegangen, und fragt sich im stillen, ob er noch weiter aufwärts führt. Ich überdachte die gelebte Zeit; wie von meinem Haus auf die Kette der Alpen und das sanft niederfallende Tal blickte ich zurück auf diese fünfzig Jahre und mußte mir sagen, daß es frevlerisch wäre, wollte ich nicht dankbar sein. Mir war schließlich mehr, unermeßlich mehr gegeben worden, als ich erwartet oder zu erreichen gehofft. Das Medium, durch das ich mein Wesen entwickeln und zum Ausdruck bringen wollte, die dichterische, die literarische Produktion hatte eine Wirksamkeit gezeitigt weit über meine verwegensten Knabenträume. Da lag, als Geschenk des Insel-Verlags zu meinem fünfzigsten Geburtstag gedruckt, eine Bibliographie meiner in allen Sprachen erschienenen Bücher und war in sich selbst schon ein Buch; keine Sprache fehlte, nicht Bulgarisch und Finnisch, nicht Portugiesisch und Armenisch, nicht Chinesisch und Maratti. In Blindenschrift, in Stenographie, in allen exotischen Lettern und Idiomen waren Worte und Gedanken von mir zu Menschen ge
gangen, ich hatte meine Existenz unermeßlich über den Raum meines Wesens hinaus ausgebreitet. Ich hatte manche der besten Menschen unserer Zeit zu persönlichen Freunden gewonnen, ich hatte die vollendetsten Aufführungen genossen; die ewigen Städte, die ewigen Bilder, die schönsten Landschaften der Erde hatte ich sehen dürfen und genießen. Ich war frei geblieben, unabhängig von Amt und Beruf, meine Arbeit war meine Freude und mehr noch, sie hatte anderen Freude bereitet! Was konnte da Schlimmes noch geschehen? Da waren meine Bücher: konnte sie jemand zunichte machen? (So dachte ich ahnungslos in dieser Stunde.) Da mein Haus – konnte mich jemand aus
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