Die Welt von Gestern
Augen der ganzen Welt das Recht verweigern sollten, seine Oper aufführen zu lassen, oder ob – Tag der nationalen Schande! – der Name Stefan Zweig, auf dessen Nennung als Textdichter Richard Strauss ausdrücklich bestand, noch einmal wie schon so oft die deutschen Theaterzettel beschmutzen sollte. Wie freute mich im stillen ihre große Sorge und ihr schmerzhaftes Kopfzerbrechen; ich ahnte, auch ohne mein Zutun oder vielmehr gerade durch mein Nichts-dazu-Tun und Nichts-dagegen-Tun würde meine musikalische Komödie sich unaufhaltsam zu einer parteipolitischen Katzenmusik entfalten.
Die Partei drückte sich um die Entschließung herum, solange dies irgendwie zu bewerkstelligen war. Aber Anfang 1934 mußte sie sich endlich entscheiden, ob sie sich gegen ihr eigenes Gesetz oder gegen den größten Musiker der Zeit stellen wollte. Der Termin duldete keinen weiteren Aufschub. Die Partitur, die Klavierauszüge, die Textbücher waren längst gedruckt, im Hoftheater von Dresden die Kostüme bestellt, die Rollen verteilt und sogar schon studiert, und noch immer hatten sich die verschiedenen Instanzen, Göring und Goebbels, Reichsschrifttumskammer und Kulturrat, Unterrichtsministerium und die Streichergarde nicht einigen können. So sehr all das als Narrentraum erscheinen mag, die Affäre der ›Schweigsamen Frau‹ wurde schließlich zu einer aufregenden Staatsangelegenheit. Von all den Instanzen wagte keine die volle Verantwortung für das erlösende ›bewilligt‹ oder ›verboten‹ zu übernehmen: so blieb nichts übrig, als diese Angelegenheit der persönlichen Entscheidung des Herrn Deutschlands und Herrn der Partei, Adolf Hitler, anheimzustellen. Meine Bücher hatten schon vordem die Ehre genossen, reichlich von den Nationalsozialisten gelesen zu werden; insbesondere war es der ›Fou
ché‹ gewesen, den sie als Vorbild politischer Unbedenklichkeit immer wieder studierten und diskutierten. Aber daß sich, nach Goebbels und Göring, Adolf Hitler persönlich einmal würde bemühen müssen, die drei Akte meines lyrischen Librettos ex officio zu studieren, dessen war ich wahrhaftig nicht gewärtig gewesen. Die Entscheidung fiel ihm nicht leicht. Es gab, wie ich hinterdrein auf allerhand Umwegen berichtet bekam, noch eine endlose Reihe von Konferenzen. Schließlich wurde Richard Strauss vor den Allgewaltigen zitiert, und Hitler teilte ihm in persona mit, daß er die Aufführung, obwohl sie gegen alle Gesetze des neuen deutschen Reiches verstoße, ausnahmsweise gestatte, eine Entscheidung, wahrscheinlich ebenso unwillig und unehrlich gegeben wie die Unterzeichnung des Vertrages mit Stalin und Molotow.
So brach dieser schwarze Tag für das nationalsozialistische Deutschland heran, daß noch einmal eine Oper aufgeführt wurde, wo der geächtete Name Stefan Zweig auf allen Anschlagzetteln paradierte. Ich wohnte selbstverständlich der Aufführung nicht bei, da ich wußte, daß der Zuschauerraum von braunen Uniformen strotzen würde und sogar Hitler selbst zu einer der Aufführungen erwartet wurde. Die Oper errang einen sehr großen Erfolg, und ich muß zu Ehren der Musikkritiker feststellen, daß neun Zehntel von ihnen die gute Gelegenheit begeistert nutzten, noch einmal, zum letztenmal ihren inneren Widerstand gegen den Rassenstandpunkt zeigen zu dürfen, indem sie die denkbar freundlichsten Worte über mein Libretto sagten. Sämtliche deutschen Theater, Berlin, Hamburg, Frankfurt, München, kündigten sofort die Aufführung der Oper für die nächste Spielzeit an.
Plötzlich, nach der zweiten Vorstellung, kam ein Blitz aus den hohen Himmeln. Alles wurde abgesagt, die Oper über Nacht für Dresden und ganz Deutschland verboten. Und noch
mehr: man las erstaunt, daß Richard Strauss seine Demission als Präsident der Reichsmusikkammer eingereicht habe. Jeder wußte, daß etwas Besonderes geschehen sein mußte. Aber es dauerte noch einige Zeit, ehe ich die ganze Wahrheit erfuhr. Strauss hatte wieder einmal einen Brief an mich geschrieben, in dem er mich drängte, doch bald an das Libretto einer neuen Oper zu gehen, und in dem er sich mit allzu großer Freimütigkeit über seine persönliche Einstellung äußerte. Dieser Brief war der Gestapo in die Hände gefallen. Er wurde Strauss vorgelegt, der daraufhin sofort seine Demission geben mußte, und die Oper wurde verboten. Sie ist in deutscher Sprache nur in der freien Schweiz und in Prag in Szene gegangen, später noch italienisch in der Mailänder Scala mit dem besonderen
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