Die Welt von Gestern
Arbeit, fährt ins Theater und dirigiert mit der gleichen Sicherheit und der gleichen Ruhe, wie er nachmittags Skat spielt, und die Inspiration setzt am nächsten Morgen genau an der gleichen Stelle wieder ein. Denn Strauss ›kommandiert‹ nach Goethes Wort seine Einfälle; Kunst heißt für ihn Können und sogar Alles-Können, wie sein lustiges Wort bezeugt: »Was ein richtiger Musiker sein will, der muß auch eine Speiskarte komponieren können.« Schwierigkeiten erschrecken ihn nicht, sondern machen seiner formenden Meisterschaft nur Spaß. Ich erinnere mich mit Vergnügen, wie seine kleinen blauen Augen funkelten, als er mir bei einer Stelle triumphierend sagte: »Da habe ich der Sängerin etwas aufzulösen gegeben! Die soll sich nur verflucht plagen, bis sie das herausbringt.« In solchen seltenen Sekunden, wo sein Auge auffunkelt, spürt man, daß etwas Dämonisches in diesem merkwürdigen Menschen tief verborgen liegt, der zuerst durch das Pünktliche, das Methodische, das Solide, das Handwerkliche, das scheinbar Nervenlose seiner Arbeitsweise einen ein wenig mißtrauisch macht, wie ja auch sein Gesicht zuerst eher banal wirkt mit seinen dicken kindlichen Wangen, der etwas gewöhnlichen Rundlichkeit der Züge und der nur zögernd zurückgewölbten
Stirn. Aber ein Blick in seine Augen, diese hellen, blauen, stark strahlenden Augen, und sofort spürt man irgendeine besondere magische Kraft hinter dieser bürgerlichen Maske. Es sind vielleicht die wachsten Augen, die ich je bei einem Musiker gesehen, nicht dämonische, aber irgendwie hellsichtige, die Augen eines Mannes, der seine Aufgabe bis zum letzten Grunde erkannt.
Nach Salzburg von so belebender Begegnung zurückgekehrt, machte ich mich gleich an die Arbeit. Selbst neugierig, ob er auf meine Verse eingehen könnte, sandte ich ihm schon nach zwei Wochen den ersten Akt. Sofort schrieb er mir eine Karte mit einem Meistersingerzitat »der erste Bar gelang«. Bei dem zweiten Akt kamen als noch herzlicherer Gruß die Anfangstakte seines Liedes »Ach, daß ich dich gefunden, du liebes Kind!« und diese seine Freude, ja sogar Begeisterung machte mir die Weiterarbeit zu einem unbeschreiblichen Vergnügen. An meinem ganzen Libretto hat Richard Strauss nicht eine einzige Zeile geändert und nur einmal mich gebeten, um einer Gegenstimme willen noch drei oder vier Zeilen einzufügen. So entspann sich zwischen uns die denkbar herzlichste Beziehung, er kam in unser Haus und ich zu ihm nach Garmisch, wo er mir mit seinen langen schmalen Fingern am Klavier aus der Skizze nach und nach die ganze Oper vorspielte. Und ohne Vertrag und Verpflichtung wurde es selbstverständlich ausgemachte Sache, daß ich nach Beendigung dieser Oper gleich eine zweite entwerfen sollte, deren Grundlagen er schon im voraus restlos gebilligt hatte.
Januar 1933, als Adolf Hitler zur Macht kam, war unsere Oper, die ›Schweigsame Frau‹, in der Klavierpartitur so gut wie fertig und ungefähr der erste Akt instrumentiert. Wenige Wochen später erfolgte das strikte Verbot an die deutschen Bühnen, Werke von Nichtariern oder auch nur solche aufzu
führen, an denen ein Jude in irgendeiner Form beteiligt gewesen; sogar auf die Toten wurde der große Bann ausgedehnt und zur Erbitterung aller Musikfreunde der Welt Mendelssohns Standbild vor dem Gewandhaus in Leipzig entfernt. Für mich schien mit diesem Verbot das Schicksal unserer Oper erledigt. Ich nahm als selbstverständlich an, daß Richard Strauss die weitere Arbeit aufgeben und eine andere mit jemand anderem beginnen würde. Statt dessen schrieb er mir Brief auf Brief, was mir denn einfiele; im Gegenteil, ich solle, da er jetzt schon an die Instrumentation gehe, für seine nächste Oper den Text vorbereiten. Er denke nicht daran, sich von irgend jemandem die Zusammenarbeit mit mir verbieten zu lassen; und ich muß offen bekennen, daß er im Verlauf der ganzen Angelegenheit mir kameradschaftliche Treue gehalten hat, solange sie zu halten war. Freilich traf er gleichzeitig Vorkehrungen, die mir weniger sympathisch waren – er näherte sich den Machthabern, kam öfters mit Hitler und Göring und Goebbels zusammen und ließ sich zu einer Zeit, da selbst Furtwängler sich noch offen auflehnte, zum Präsidenten der nazistischen Reichsmusikkammer ernennen.
Diese seine offene Teilnahme war den Nationalsozialisten in jenem Augenblick ungeheuer wichtig. Denn ärgerlicherweise hatten nicht nur die besten Schriftsteller, sondern auch die wichtigsten
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