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Die Welt von Gestern

Die Welt von Gestern

Titel: Die Welt von Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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einen Augenblick selbstgefällig wirkte. Er blieb unabhängig vom Geld, lebte lieber in einer ländlichen Existenz, statt eine Zeile zu schreiben, die nur dem Tag und der Stunde galt. Er blieb unabhängig vom Erfolg, mühte sich nicht, ihn durch Konzessionen und Gefälligkeiten und Camaraderie zu mehren – ihm genügten seine Freunde und deren treue Gesinnung. Er blieb unabhängig sogar von der gefährlichsten Versuchung eines Charakters, vom Ruhm, als dieser endlich zu dem auf der Höhe seines Lebens Stehenden kam. Er blieb offen in jedem Sinn, mit keiner Hemmung belastet, von keiner Eitelkeit verwirrt, ein freier, freudiger Mensch, leicht jeder Begeisterung hingegeben; wenn man mit ihm war, spürte man sich belebt in seinem eigenen Willen zum Leben.
    Da stand er also leibhaftig vor mir, dem jungen Menschen – der Dichter, so wie ich ihn gewollt, so wie ich ihn geträumt. Und noch in dieser ersten Stunde persönlicher Begegnung war mein Entschluß gefaßt: diesem Manne und seinem Werk zu
dienen. Es war ein wirklich verwegener Entschluß, denn dieser Hymniker Europas war damals in Europa noch wenig bekannt, und ich wußte im voraus, daß die Übertragung seines monumentalen Gedichtwerks und seiner drei Versdramen meiner eigenen Produktion zwei oder drei Jahre wegnehmen würde. Aber indem ich mich entschloß, meine ganze Kraft, Zeit und Leidenschaft dem Dienst an einem fremden Werke zu geben, gab ich mir selbst das Beste: eine moralische Aufgabe. Mein ungewisses Suchen und Versuchen hatte jetzt einen Sinn. Und wenn ich heute einen jungen Schriftsteller beraten sollte, der noch seines Weges ungewiß ist, würde ich ihn zu bestimmen suchen, zuerst einem größeren Werke als Darsteller oder Übertragender zu dienen. In allem aufopfernden Dienen ist für einen Beginnenden mehr Sicherheit als im eigenen Schaffen, und nichts, was man jemals hingebungsvoll geleistet, ist vergebens getan.
    In diesen zwei Jahren, die ich fast ausschließlich daran wandte, die Gedichtwerke Verhaerens zu übertragen und ein biographisches Buch über ihn vorzubereiten, bin ich zwischendurch viel gereist, zum Teil auch, um öffentliche Vorträge zu halten. Und schon hatte ich einen unerwarteten Dank für die scheinbar undankbare Hingabe an das Werk Verhaerens; seine Freunde im Ausland wurden auf mich aufmerksam und bald auch meine Freunde. So kam eines Tages Ellen Key zu mir, diese wundervolle schwedische Frau, die mit einer Kühnheit ohnegleichen in jenen noch borniert widerstrebenden Zeiten für die Emanzipation der Frauen gekämpft und in ihrem Buch ›Das Jahrhundert des Kindes‹ lange vor Freud die seelische Verwundbarkeit der Jugend warnend gezeigt; durch sie wurde ich in Italien bei Giovanni Cena und seinem dichterischen Kreise eingeführt und gewann in dem Norweger Johan Bojer einen bedeutenden Freund. Georg Brandes, der internationale Mei
ster der Literaturgeschichte, wandte mir sein Interesse zu, und bald begann in Deutschland dank meiner Werbung der Name Verhaerens schon bekannter zu sein als in seinem Vaterland. Kainz, der größte Schauspieler, und Moissi rezitierten öffentlich seine Gedichte in meiner Übertragung. Max Reinhardt brachte Verhaerens ›Kloster‹ auf die deutsche Bühne: ich durfte zufrieden sein.
    Aber nun war es eigentlich Zeit, mich zu erinnern, daß ich noch eine andere Verpflichtung übernommen hatte als die gegen Verhaeren. Ich hatte endlich meine Universitätskarriere abzuschließen und den philosophischen Doktorhut heimzubringen. Jetzt hieß es, in ein paar Monaten den ganzen scholastischen Stoff aufzuarbeiten, an dem die solideren Studenten fast vier Jahre gewürgt: mit Erwin Guido Kolbenheyer, einem literarischen Jugendfreund, der heute daran vielleicht nicht gerne erinnert wird, weil er einer der offiziellen Dichter und Akademiker Hitlerdeutschlands geworden ist, büffelte ich die Nächte durch. Aber man machte mir die Prüfung nicht schwer. Der gütige Professor, der aus meiner öffentlichen literarischen Tätigkeit zuviel von mir wußte, um mich mit Kleinkram zu vexieren, sagte mir in einer privaten Vorbesprechung lächelnd: »Exakte Logik wollen Sie doch lieber nicht geprüft werden«, und führte mich dann in der Tat sachte auf die Gebiete, in denen er mich sicher wußte. Es war das erste Mal, daß ich eine Prüfung mit Auszeichnung bestand und, wie ich hoffe, auch das letzte Mal. Nun war ich äußerlich frei, und alle die Jahre bis auf den heutigen Tag haben nur dem – in unseren Zeiten immer

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