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Die Welt von Gestern

Die Welt von Gestern

Titel: Die Welt von Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Schrift hart heran bis an das Spatium. Niemals erlaubte er sich, selbst in der hastigsten Mitteilung, ein durchgestrichenes Wort, sondern immer schrieb er, sobald ein Satz oder ein Ausdruck ihm nicht vollwertig schien, mit seiner großartigen Geduld den ganzen Brief noch ein zweites Mal. Nie gab Rilke etwas aus der Hand, was nicht ganz vollendet war.
    Diese Sordiniertheit und gleichzeitige Gesammeltheit seines Wesens wirkte auf jeden bezwingend, der ihm näherkam. Wie man sich Rilke selbst unmöglich heftig denken konnte, so auch keinen andern, der in seiner Gegenwart durch die aus
strömende Schwingung seiner Stille nicht jede Lautheit und Anmaßung verloren hätte. Denn sein Verhaltensein schwang aus als eine geheimnisvoll fortwirkende, eine erziehliche, eine moralische Kraft. Nach jedem längeren Gespräch mit ihm war man für Stunden oder sogar Tage unfähig irgendeiner Vulgarität. Freilich setzte anderseits diese ständige Temperiertheit seines Wesens, dieses Nie-sich-voll-geben-Wollen jeder besonderen Herzlichkeit eine frühe Grenze; ich glaube, daß nur wenige Menschen sich rühmen dürfen, Rilkes ›Freunde‹ gewesen zu sein. In den sechs veröffentlichten Bänden seiner Briefe findet sich fast nie diese Ansprache, und das brüderlich vertrauliche Du scheint er seit seinen Schuljahren kaum irgend jemandem gewährt zu haben. Seiner außerordentlichen Sensibilität war es unerträglich, irgend jemanden oder irgend etwas an sich allzu nah herankommen zu lassen, und insbesondere alles stark Maskuline erregte bei ihm ein geradezu physisches Unbehagen. Frauen gab er sich leichter im Gespräch. Ihnen schrieb er viel und gern und war viel freier in ihrer Gegenwart. Vielleicht war es die Abwesenheit des Gutturalen in ihren Stimmen, das ihm wohltat, denn er litt geradezu an unangenehmen Stimmen. Ich sehe ihn noch vor mir in einem Gespräch mit einem hohen Aristokraten, ganz in sich zusammengedrückt, mit gequälten Schultern und nicht einmal die Augen hebend, damit sie nicht verraten sollten, wie sehr er unter dessen unangenehmem Falsett physisch litt. Aber wie gut, mit ihm zu sein, wenn er jemandem wohlgesinnt war! Dann spürte man seine innere Güte, obwohl sie in Worten und Gesten sparsam blieb, wie eine wärmende, heilende Ausstrahlung bis hinein in die innerste Seele.
    Scheu und zurückhaltend wirkte Rilke in Paris, dieser herzerweiternden Stadt, weitaus am aufgetansten, vielleicht auch, weil man hier sein Werk, seinen Namen noch nicht kannte und er als Anonymer sich immer freier und glücklicher fühlte.
Ich besuchte ihn dort in zwei verschiedenen Mietzimmern. Jedes war einfach und schmucklos und bekam doch sofort Stil und Stille durch seinen waltenden Schönheitssinn. Nie durfte es ein mächtiges Mietshaus sein mit lärmenden Nachbarn, lieber ein altes, wenn auch unbequemeres, in dem er sich heimisch machen konnte, und den inneren Raum wußte er sich, wo immer er war, durch ordnende Kraft sofort sinnvoll und seinem Wesen entsprechend zu gestalten. Immer waren nur ganz wenige Dinge um ihn, aber immer leuchteten Blumen in einer Vase oder Schale, vielleicht geschenkt von Frauen, vielleicht von ihm selber zärtlich heimgebracht. Immer leuchteten Bücher an der Wand, schön gebunden oder in Papier sorgsam eingeschlagen, denn er liebte Bücher wie stumme Tiere. Auf dem Schreibtisch lagen die Bleistifte und Federn in kerzengerader Linie, die Bogen des unbeschriebenen Papiers zu einem Rechteck gereiht; eine russische Ikone, ein katholisches Kruzifix, die ihn, glaube ich, auf allen seinen Reisen begleitet haben, gaben der Arbeitsstelle einen leicht religiösen Charakter, obwohl seine Religiosität an kein bestimmtes Dogma gebunden war. Jeder Einzelheit spürte man an, daß sie sorgsam gewählt und zärtlich behütet war. Lieh man ihm ein Buch, das er nicht kannte, so bekam man es zurück, in Seidenpapier faltenlos eingeschlagen und wie ein Festgeschenk mit buntem Bande verschnürt; ich erinnere mich noch, wie er mir als kostbare Gabe das Manuskript der ›Weise von Liebe und Tod‹ in mein Zimmer brachte, und bewahre noch heute das Band, das es umhüllte. Aber am schönsten war es, mit Rilke in Paris spazierenzugehen, denn das hieß, auch das Unscheinbarste bedeutsam und mit gleichsam erhelltem Auge sehen; er bemerkte jede Kleinigkeit, und selbst die Namen der Firmenschilder sprach er, wenn sie ihm rhythmisch zu klingen schienen, gerne sich laut vor; diese eine Stadt Paris bis in ihre letzten Winkel und Tiefen
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