Die Welt von Gestern
priesterlich drapierte Einsamkeit, wie etwa Stefan George sie in Deutschland zelebrierte; die Stille wuchs gewissermaßen um ihn, wohin er ging und wo er sich befand. Da er jedem Lärm und sogar seinem Ruhm auswich – dieser ›Summe aller Mißverständnisse, die sich um seinen Namen sammeln‹, wie er einmal so schön sagte –, netzte die eitel anstürmende Woge der Neugier nur seinen Namen und nie seine Person. Rilke war schwer zu erreichen. Er hatte kein Haus, keine Adresse, wo man ihn suchen konnte, kein Heim, keine ständige Wohnung, kein Amt. Immer war er am Wege durch die Welt, und niemand, nicht einmal er selbst, wußte im voraus, wohin er sich wenden würde. Für seine unermeßlich sensible und druckempfindliche Seele war jeder starre Entschluß, jedes Planen und jede Ankündigung schon Beschwerung. So ergab es sich immer nur durch Zufall, wenn man ihm begegnete. Man stand in einer italienischen Galerie und spürte, ohne recht gewahr zu werden, von wem es kam, ein leises, freundliches Lächeln einem entgegen. Dann erst erkannte man seine blauen Augen, die, wenn sie einen anblickten, seine an sich eigentlich unauffälligen Züge mit ihrem inneren Licht beseelten. Aber gerade diese Unauffälligkeit war das tiefste Geheimnis
seines Wesens. Tausende Menschen mögen vorübergegangen sein an diesem jungen Manne mit dem leicht melancholisch niederhängenden, blonden Schnurrbart und den durch keine Linie besonders bemerkenswerten, ein wenig slawischen Gesichtsformen, ohne zu ahnen, daß dies ein Dichter und einer der größten unseres Jahrhunderts war; seine Besonderheit wurde erst in näherem Umgang offenbar: die Verhaltenheit seines Wesens. Er hatte eine unbeschreibbar leise Art des Kommens, des Sprechens. Wenn er in ein Zimmer eintrat, wo eine Gesellschaft versammelt war, geschah es dermaßen lautlos, daß kaum jemand ihn bemerkte. Still lauschend saß er dann, hob manchmal unwillkürlich die Stirn, sobald ihn etwas zu beschäftigen schien, und wenn er selbst zu sprechen begann, so immer ohne jede Affektation oder heftige Betonung. Er erzählte natürlich und einfach, wie eine Mutter ihrem Kind ein Märchen erzählt und genauso liebevoll; es war wunderbar, ihm zuzuhören, wie bildhaft und bedeutend auch das gleichgültigste Thema sich ihm formte. Aber kaum spürte er, daß er in einem größeren Kreise der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit wurde, brach er ab und senkte sich wieder in sein schweigsames, aufmerksames Lauschen zurück. In jeder Bewegung, in jeder Geste war dies Leise; selbst wenn er lachte, war es bloß mit einem gerade nur andeutenden Ton. Sordiniertheit war ihm Bedürfnis, und nichts konnte ihn darum dermaßen verstören wie Lärm und im Raum des Gefühls jede Vehemenz. »Sie erschöpfen mich, diese Menschen, die ihre Empfindungen wie Blut ausspeien«, sagte er mir einmal, »und Russen nehme ich darum nur mehr wie Likör in ganz kleinen Dosen zu mir.« Nicht minder als Gemessenheit im Betragen, waren ihm Ordnung, Sauberkeit und Stille geradezu physische Bedürfnisse; in einer überfüllten Trambahn fahren zu müssen, in einem lärmenden Lokal zu sitzen, verstörte ihn für Stunden. Alles Vulgäre war ihm unerträglich,
und obwohl er in engen Verhältnissen lebte, zeigte seine Kleidung immer ein Summum von Sorgfalt, Sauberkeit und Geschmack. Sie war gleichfalls ein durchdachtes, ein durchdichtetes Meisterwerk der Unauffälligkeit, und immer doch mit einer unscheinbaren, ganz persönlichen Note, einem kleinen Nebenbei, an dem er sich heimlich freute, etwa einem dünnen silbernen Armbändchen um das Handgelenk. Denn bis in das Intimste und Persönlichste ging sein ästhetischer Sinn für Vollendung und Symmetrie. Einmal sah ich ihm in seiner Wohnung vor der Abreise zu – er lehnte meine Hilfe mit Recht als unzuständig ab –, wie er seinen Koffer packte. Es war ein Mosaiklegen, jedes einzelne Stück beinahe zärtlich in den sorgfältig ausgesparten Raum eingesenkt; ich hätte es als Frevel empfunden, dieses blumenhafte Beisammensein durch einen helfenden Handgriff zu zerstören. Und dieser sein elementarer Schönheitssinn begleitete ihn bis ins nebensächlichste Detail; nicht nur, daß er seine Manuskripte sorgfältig auf schönstem Papier mit seiner kalligraphisch runden Hand schrieb, daß wie nachgemessen mit dem Zollstab jede Zeile zur andern in gleicher Schwebe stand: auch für den gleichgültigsten Brief wählte er erlesenes Papier, und regelmäßig, rein und rund ging seine kalligraphische
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