Die Welt von Gestern
beisammen gewesen bin und sein Antlitz wie auf alten Bildern immer vor dem Hintergrund dieser Stadt abgehoben sehe, die er wie keine andere geliebt. Gedenke ich heute seiner und jener anderen Meister des wie in erlauchter Goldschmiedekunst gehämmerten Worts, gedenke ich dieser verehrten Namen, die wie unerreichbare Sternbilder meine Jugend überleuchtet haben, so drängt sich mir unwiderstehlich die wehmütige Frage auf: werden solche reine, nur dem lyrischen Gebilde zugewandte Dichter in unserer gegenwärtigen Zeit der Turbulenz und allgemeinen Verstörtheit abermals möglich sein? Ist es nicht ein verschollenes Geschlecht, das ich in ihnen liebend beklage, ein Geschlecht ohne unmittelbare Nachfolge in unseren, von allen Orkanen des Schicksals durchstürmten Tagen – diese Dichter, die nichts begehrten vom äußeren Leben, nicht Anteil der breiten Masse, noch Ehrenzeichen und Würden und Gewinn, die nichts erstreben, als in stillem und doch leidenschaftlichem Bemühen Strophe an Strophe vollendet zu binden, jede Zeile durchdrungen von Musik, leuchtend in Farben, glühend von Bildern. Eine Gilde bildeten sie, einen fast mönchischen Orden mitten in unserem lärmenden Tag, sie, diese bewußt vom Täglichen Abgewandten, denen im Weltall nichts wichtiger war als der zarte und doch das Gedröhn der Zeit überdauernde Laut, wenn ein Reim, zu den andern sich fügend, jene unbeschreibliche Regung entäußerte, die leiser war als der Ton eines fallenden Blattes im Wind und doch die fernsten Seelen mit ihrer Schwingung berührte. Aber wie erhebend für uns junge Menschen war die Gegenwart solcher sich selbst Getreuen, wie vorbildlich diese strengen Diener und Wahrer der Sprache, die einzig dem geläuterten Wort ihre Liebe gaben, dem Wort, das nicht der Zeit und der Zeitung, sondern dem Dauernden und Überdauernden galt. Fast beschämend war es, auf sie zu blicken, denn wie leise leb
ten sie, wie unscheinbar, wie unsichtbar, der eine bäuerlich auf dem Lande, der andere in einem kleinen Beruf, der dritte wandernd über die Welt als ein passionate pilgrim, alle von wenigen nur gekannt, aber von diesen wenigen um so leidenschaftlicher geliebt. Da war einer in Deutschland und einer in Frankreich, einer in Italien und doch jeder in derselben Heimat, denn sie lebten einzig im Gedicht, und indem sie so mit strengem Verzicht alles Ephemere mieden, formten sie, Kunstwerke bildend, ihr eigenes Leben zum Kunstwerk. Wunderbar scheint es mir immer wieder, daß wir in unserer Jugend solche makellosen Poeten unter uns gehabt. Aber ich frage mich deshalb auch immer wieder in einer Art heimlicher Sorge: werden auch in unseren Zeiten, in unseren neuen Lebensformen, die den Menschen aus jeder inneren Sammlung mörderisch hinausjagen wie ein Waldbrand die Tiere aus ihren verborgensten Verstecken, solche völlig der lyrischen Kunst verschworenen Seelen möglich sein? Ich weiß wohl, immer wieder ereignet sich das Wunder eines Dichters in den Zeiten, und Goethes bewegliche Tröstung in seiner Nänie auf Lord Byron bleibt ewig wahr: »Denn die Erde zeugt sie wieder, wie sie sie von je gezeugt.« Wieder und wieder werden in begnadeter Wiederkehr solche Dichter erstehen, denn immer verleiht von Weile zu Weile die Unsterblichkeit dies kostbare Unterpfand auch der unwürdigsten Zeit. Aber ist nicht gerade die unsere eine, die auch dem Reinsten, dem Abseitigsten keine Stille erlaubt, jene Stille des Wartens und Reifens und Sinnens und Sich-Sammelns, wie sie jenen noch vergönnt war in der gütigeren und gelasseneren Zeit der europäischen Vorkriegswelt? Ich weiß nicht, wieviel alle diese Dichter, Valéry, Verhaeren, Rilke, Pascoli, Francis Jammes, heute noch gelten, wieviel sie einer Generation sind, der statt dieser zarten Musik durch Jahre und Jahre das klappernde Mühlrad der Propaganda und zweimal der
Donner der Kanonen die Ohren durchdröhnt. Ich weiß nur und fühle die Pflicht, es dankbar auszusagen, welch eine Lehre, welch eine Beglückung die Gegenwart solcher heilig der Perfektion Verschworenen inmitten einer schon sich mechanisierenden Welt für uns gewesen ist. Und rückschauend auf mein Leben, gewahre ich kaum bedeutsameren Besitz, als daß es mir erlaubt war, manchem von ihnen menschlich nahe zu sein und daß mehrfach an meine frühe Verehrung dauernde Freundschaft sich binden durfte.
Von allen diesen hat vielleicht keiner leiser, geheimnisvoller, unsichtbarer gelebt als Rilke. Aber es war keine gewollte, keine forcierte oder
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