Die Welt von Gestern
fremde Werke einsetzte und somit seine ganze herrliche Intensität für die Menschen aufsparte, die er liebte. In ihm, dem geborenen ›Kameraden‹, habe ich den absoluten Typus des aufopfernden Menschen in Fleisch und Blut kennengelernt, den wahrhaft Hingegebenen, der seine Lebensaufgabe einzig darin sieht, den wesentlichen Werten seiner Zeit zu ihrer Wirkung zu verhelfen und nicht einmal dem berechtigten Stolz frönt, als ihr Entdecker oder Förderer gerühmt zu werden. Sein aktiver Enthusiasmus war nichts als eine natürliche Funktion seines moralischen
Bewußtseins. Etwas militärisch aussehend, obwohl leidenschaftlicher Antimilitarist, hatte er im Umgang die Kordialität eines echten Kameraden. Jederzeit bereit, zu helfen, zu beraten, unerschütterlich in seiner Ehrlichkeit, pünktlich wie ein Uhrwerk, kümmerte er sich um alles, was einen betraf, aber niemals um seinen persönlichen Vorteil. Zeit war ihm nichts, Geld war ihm nichts, wenn es einem Freund galt, und er hatte Freunde in aller Welt, eine kleine, aber erlesene Schar. Zehn Jahre hatte er daran gewandt, Walt Whitman den Franzosen durch die Übersetzung aller Gedichte und eine monumentale Biographie nahezubringen. Mit diesem Vorbild eines freien, weltliebenden Mannes den geistigen Blick seiner Nation über die Grenzen zu lenken, seine Landsleute männlicher, kameradschaftlicher zu machen, ward sein Lebensziel: der beste Franzose, war er zugleich der leidenschaftlichste Anti-Nationalist.
Wir wurden bald innige, brüderliche Freunde, weil wir beide nicht vaterländisch dachten, weil wir beide fremden Werken mit Hingebung und ohne jeden äußeren Vorteil zu dienen liebten und weil wir geistige Unabhängigkeit als das primum und ultimum des Lebens werteten. In ihm lernte ich zum erstenmal jenes ›unterirdische‹ Frankreich kennen; als ich später las, wie bei Rolland Olivier dem deutschen Johann Christoph entgegentritt, glaubte ich beinahe unser persönliches Erlebnis gestaltet zu sehen. Aber das Schönste in unserer Freundschaft, das mir Unvergeßlichste, blieb, daß sie ständig einen heiklen Punkt überkommen hatte, dessen beharrliche Resistenz unter normalen Umständen sonst eine ehrliche und herzliche Intimität zwischen zwei Schriftstellern hätte verhindern müssen. Dieser heikle Punkt war, daß Bazalgette alles, was ich damals schrieb, mit seiner prachtvollen Ehrlichkeit dezidiert ablehnte. Er liebte mich persönlich, er hatte die denkbarste Achtung für meine Hingabe an das Werk Verhaerens. Immer, wenn ich
nach Paris kam, stand er getreu an der Bahn und grüßte als erster mir entgegen; wo er mir helfen konnte, war er zur Stelle, wir stimmten in allen entscheidenden Dingen besser als sonst Brüder zusammen. Aber zu meinen eigenen Arbeiten sagte er ein entschlossenes Nein. Er kannte Gedichte und Prosa von mir in den Übersetzungen von Henri Guilbeaux (der dann im Weltkriege als Freund Lenins eine wichtige Rolle gespielt hat) und lehnte sie frank und schroff ab. All das habe keinen Zusammenhang mit der Wirklichkeit, rügte er unerbittlich, das sei esoterische Literatur (die er gründlich haßte), und er ärgere sich, weil gerade ich das schreibe. Unbedingt ehrlich zu sich selbst, machte er auch in diesem Punkte keine Konzessionen, nicht einmal die der Höflichkeit. Als er zum Beispiel eine Revue leitete, bat er mich um meine Hilfe – das heißt, er bat mich darum in der Form, daß ich ihm aus Deutschland wesentliche Mitarbeiter verschaffen sollte, also Beiträge, die besser waren als meine eigenen; von mir selbst, seinem nächsten Freunde, verlangte und veröffentlichte er beharrlich keine Zeile, obwohl er gleichzeitig aufopferungsvoll und ohne jedes Honorar die französische Übertragung eines meiner Bücher für einen Verlag aus treuer Freundschaft revidierte. Daß unsere brüderliche Kameradschaft durch diesen kuriosen Umstand in zehn Jahren nicht eine Stunde lang eine Minderung erlitten, hat sie mir noch besonders teuer gemacht. Und nie hat mich eine Zustimmung mehr gefreut als gerade die Bazalgettes, als ich während des Weltkrieges – selbst alles Frühere annullierend – endlich zu einer Form persönlicher Aussage gelangt war. Denn ich wußte, sein Ja zu meinen neuen Werken war ebenso ehrlich, wie es durch zehn Jahre sein schroffes Nein gewesen.
Wenn ich den teuren Namen Rainer Maria Rilkes, obwohl es ein deutscher Dichter war, auf das Blatt der Pariser Tage schreibe, so geschieht dies, weil ich in Paris am öftesten und
besten mit ihm
Weitere Kostenlose Bücher