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Die Welt von Gestern

Die Welt von Gestern

Titel: Die Welt von Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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als rechter ›copain‹ begrüßt wurde, begegneten mir mit einemmal frostige Gesichter. Geschlossen stand die beleidigte kleinbürgerliche Moral nicht nur des Hauses, sondern der ganzen Gasse, ja sogar des Arrondissements gegen mich, weil ich dem Dieb ›geholfen‹ hatte. Und mir blieb schließlich nichts anderes übrig, als mit dem geretteten Koffer
auszuziehen und das behagliche Hotel so schmählich zu verlassen, als ob ich selbst der Verbrecher gewesen.

    London wirkte nach Paris auf mich, wie wenn man an einem überheißen Tag plötzlich in den Schatten tritt: im ersten Augenblick überläuft einen unwillkürlich ein Frösteln, aber rasch sind Augen und Sinne eingewöhnt. Ich hatte mir zwei bis drei Monate England von vornherein gleichsam als Pflicht vorgesetzt – denn wie unsere Welt begreifen und in ihren Kräften bewerten, ohne das Land zu kennen, das diese Welt seit Jahrhunderten in seinen Schienen rollen ließ? Auch hoffte ich, meinem rostigen Englisch (das übrigens nie wirklich fließend geworden ist) einen Schliff zuteil werden zu lassen durch fleißige Konversation und rege Geselligkeit. Dazu kam es leider nicht: ich hatte – wie wir Kontinentalen alle – wenig literarischen Kontakt jenseits des Kanals, und bei allen Breakfast-Gesprächen und small talks in unserer kleinen Pension über Hof und Rennen und Parties fühlte ich mich jämmerlich unzuständig. Wenn sie Politik diskutierten, konnte ich nicht folgen, weil sie von Joe sprachen, ohne daß ich wußte, daß sie Chamberlain meinten, und ebenso die Sirs immer nur bei den Vornamen nannten; gegen das Cockney der Kutscher wiederum war mein Ohr lange wie mit Wachs vertaubt. So kam ich nicht so rasch vorwärts, wie ich gehofft hatte. Ein bißchen gute Diktion versuchte ich in den Kirchen von den Predigern zu erlernen, zwei oder drei Male kiebitzte ich bei Gerichtsverhandlungen, ich ging in die Theater, um richtiges Englisch zu hören – aber immer mußte ich mühsam suchen, was in Paris einem überflutend entgegenkam: Geselligkeit, Kameradschaft und Heiterkeit. Ich fand niemanden, um die Dinge zu diskutieren, die mir die wichtigsten waren; den Gutgesinnten unter den Engländern erschien wiederum ich durch meine grenzenlose Gleich
gültigkeit gegen Sport, Spiel, Politik und was sie sonst beschäftigte, wahrscheinlich als ziemlich ungehobelter und lederner Geselle. Nirgends gelang es mir, mich einem Milieu, einem Kreis innerlich zu verbinden; so habe ich eigentlich neun Zehntel meiner Londoner Zeit arbeitend in meinem Zimmer oder im Britischen Museum verbracht.
    Zuerst versuchte ich es freilich redlich mit dem Spazierengehen. In den ersten acht Tagen hatte ich London durchtrabt, bis mir die Sohlen brannten. Ich klapperte alle Sehenswürdigkeiten des Baedekers von der Madame Tussaud bis zum Parlament mit studentischem Pflichtgefühl ab, ich lernte Ale trinken und ersetzte die Pariser Zigarette durch die landesübliche Pfeife, ich gab mir in hundert Einzelheiten Mühe, mich anzupassen; aber weder gesellschaftlich noch literarisch kam ich in einen wirklichen Kontakt, und wer England nur von außen sieht, der geht am Wesentlichen vorbei – geht vorbei wie an den millionenreichen Kompanien in der City, von denen man von außen nichts anderes wahrnimmt als eben das wohlgeputzte stereotype Messingschild. In einem Klub eingeführt, wußte ich nicht, was dort tun; schon der Anblick der tiefen Ledersessel reizte mich wie die ganze Atmosphäre zu einer Art geistiger Schläfrigkeit, weil ich dies weise Entspannen nicht wie die andern durch konzentrierte Tätigkeit oder Sport mir verdient hatte. Diese Stadt schied eben energisch den Müßiggänger, den bloßen Beobachter, sofern er nicht millionenreich das Otium zu einer hohen und geselligen Kunst zu erheben wußte, als Fremdkörper aus, während Paris ihn vergnüglich mitrollen ließ in seinem wärmeren Getriebe. Mein Fehler war gewesen, das erkannte ich zu spät: ich hätte in irgendeiner Form der Beschäftigung diese zwei Londoner Monate verbringen müssen, als Volontär in einem Geschäft, als Sekretär in einer Zeitung, dann wäre ich wenigstens einen Fingerbreit tief in das englische Le
ben eingedrungen. Als bloßer Beobachter von außen habe ich wenig erlebt und erst viele Jahre später während des Krieges eine Ahnung des wirklichen England gewonnen.
    Von den Dichtern Englands sah ich nur Arthur Symons. Er wiederum vermittelte mir eine Einladung zu W. B. Yeats, dessen Gedichte ich sehr liebte, und von

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