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Die Welt von Gestern

Die Welt von Gestern

Titel: Die Welt von Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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der Sache gehabt habe, geradezu grob und drohend auf, meine Pardonierung zu revozieren. Aber ich blieb fest. Ich hätte, sagte ich entschlossen, meinen Koffer wieder und somit keinerlei Schaden zu beklagen, damit sei alles für mich erledigt. Ich hätte zeit meines Lebens noch nie gegen einen anderen Menschen eine Klage eingebracht und würde mit viel behaglicherem Gefühl heute mittags ein feistes Beefsteak verzehren, wenn ich wüßte, daß nicht meinethalben jemand anders unterdessen Gefängniskost essen müßte. Mein Wirt ripostierte in immer größerer Erregung, und als der Beamte erklärte, nicht er, sondern ich hätte zu entscheiden und durch meine Weigerung sei die Sache erledigt, drehte er sich plötzlich scharf um, verließ wütend das Zimmer und schlug knallend die Tür hinter sich zu. Der Unterpräfekt stand auf, lächelte dem Verärgerten nach und reichte mir in stillem Einverständnis die Hand. Damit war der amtliche Akt vollbracht,
und ich griff schon nach meinem Koffer, um ihn nach Hause zu tragen. Aber in diesem Moment geschah etwas Merkwürdiges. Hastig näherte sich mir der Dieb in demütiger Weise. »Oh non, Monsieur«, sagte er. »Ich trage ihn schon zu Ihnen nach Hause.« Und so marschierte ich, während hinter mir der dankbare Dieb den Koffer trug, wieder die vier Straßen zu meinem Hotel zurück.
    Auf diese Art schien eine ärgerlich begonnene Affäre in heiterster und erfreulichster Weise abgeschlossen. Aber sie zeitigte in rascher Folge noch zwei Nachspiele, denen ich aufschlußreiche Beiträge zur Kenntnis der französischen Psyche verdanke. Als ich am nächsten Tage zu Verhaeren kam, begrüßte er mich mit einem maliziösen Lächeln. »Du hast ja sonderbare Abenteuer hier in Paris«, sagte er spaßend. »Vor allem habe ich gar nicht gewußt, daß du ein so schwerreicher Bursche bist.« Ich verstand zuerst nicht, was er meinte. Er reichte mir die Zeitung, und siehe, da stand ein ungeheurer Bericht über den Vorfall von gestern, nur freilich, daß ich die wirklichen Tatsachen in dieser romantischen Dichtung kaum wiedererkannte. Mit eminenter journalistischer Kunst war geschildert, wie in einem Hotel der Innenstadt an einem vornehmen Fremden – ich war vornehm geworden, um interessanter zu sein – der Diebstahl eines Koffers verübt worden sei, der eine Reihe kostbarster Wertobjekte, darunter einen Kreditbrief auf zwanzigtausend Franken, enthalten habe – die zweitausend hatten sich über Nacht verzehnfacht – sowie andere unersetzbare Gegenstände (die in Wahrheit ausschließlich in Hemden und Krawatten bestanden hatten). Zunächst habe es unmöglich geschienen, eine Spur zu finden, da der Dieb mit ungeheurem Raffinement und anscheinend unter genauester Kenntnis der Lokalität die Tat verübt habe. Aber der souspréfet des Arrondissements, Monsieur ›un tel‹, habe mit seiner ›bekannten Energie‹ und seiner ›
grande perspicacité‹ sofort alle Maßnahmen getroffen. Auf seine telephonische Verständigung hin wären innerhalb einer einzigen Stunde sämtliche Hotels und Pensionen von Paris auf das genaueste untersucht worden, und seine Maßnahmen, mit gewohnter Präzision ausgeführt, hätten in kürzester Frist zur Verhaftung des Übeltäters geführt. Der Polizeipräsident habe dem ausgezeichneten Beamten für diese hervorragende Leistung unverzüglich seine besondere Anerkennung ausgesprochen, weil er durch seine Tatkraft und Weitsicht wieder einmal ein leuchtendes Beispiel für die musterhafte Organisation der Pariser Polizei gegeben. – An diesem Bericht war natürlich nicht das mindeste wahr; der ausgezeichnete Beamte hatte sich nicht eine Minute von seinem Schreibtisch weg bemühen müssen, wir hatten ihm den Dieb mit dem Koffer fertig ins Haus geliefert. Aber er hatte die gute Gelegenheit benutzt, für sich persönlich publizistisches Kapital zu schlagen.
    Hatte sich derart für den Dieb sowie für die hohe Polizei die Episode erfreulich gestaltet, so doch keineswegs für mich. Denn von dieser Stunde an tat mein früher so jovialer Hauswirt alles, um mir den weiteren Aufenthalt im Hotel zu verleiden. Ich kam die Treppe hinab und grüßte höflich seine Frau in der Portiersloge; sie antwortete mir nicht und wandte das biedere Bürgerinnenhaupt beleidigt ab. Der Valet räumte mein Zimmer nicht mehr richtig auf, Briefe verloren sich auf rätselhafte Weise. Selbst in den nachbarlichen Geschäften und im Bureau de Tabac, wo ich wegen meines reichlichen Konsums an Rauchwaren sonst

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