Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Welt von Gestern

Die Welt von Gestern

Titel: Die Welt von Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
Vom Netzwerk:
dem ich aus bloßer Freude einen Teil seines zarten Versdramas ›The Shadowy Waters‹ übersetzt hatte. Ich wußte nicht, daß es ein Vorlesungsabend werden sollte; ein kleiner Kreis von Auserwählten war geladen, wir saßen ziemlich gedrängt in dem nicht weiträumigen Zimmer, ein Teil sogar auf Schemeln oder auf dem Fußboden. Endlich begann Yeats, nachdem er neben einem schwarzen (oder schwarzüberzogenen) Stehpult zwei armdicke, riesige Altarkerzen entzündet hatte. Alle andern Lichter im Raume wurden gelöscht, so trat plastisch der energische Kopf mit den schwarzen Locken aus dem Kerzenschimmer. Yeats las langsam mit einer melodischen dunklen Stimme, ohne je ins Deklamatorische zu verfallen, jeder Vers erhielt sein volles metallisches Gewicht. Es war schön. Es war wahrhaft feierlich. Und das einzige, was mich störte, war die Preziosität der Aufmachung, das schwarze, kuttenartige Gewand, das Yeats etwas Priesterliches gab, das Schwelen der dicken Wachskerzen, die, glaube ich, einen leichtgewürzten Duft aushauchten; dadurch wurde der literarische Genuß – und das bot anderseits für mich einen neuartigen Reiz – eher eine Zelebrierung von Gedichten als eine spontane Vorlesung. Und ich erinnerte mich unwillkürlich im Vergleich, wie Verhaeren seine Gedichte vorlas: in Hemdsärmeln, um mit den nervigen Armen den Rhythmus besser taktieren zu können, ohne Pomp und Inszenierung, oder wie Rilke aus einem Buche gelegentlich ein paar Verse sprach, einfach, klar in dem stillen Dienst am Wort. Es war die erste ›inszenierte‹ Dichtervorlesung, der ich je beigewohnt, und wenn ich mich
trotz aller Liebe für sein Werk etwas mißtrauisch gegen diese Kulthandlung wehrte, so hat Yeats dennoch damals einen dankbaren Gast gehabt.
    Aber die eigentliche Dichterentdeckung, die mir in London geschah, galt keinem Lebenden, sondern einem derzeit noch recht vergessenen Künstler: William Blake, diesem einsamen und problematischen Genie, das mich mit seiner Mischung von Unbeholfenheit und sublimer Vollendung noch heute fasziniert. Ein Freund hatte mir geraten, mir im printroom des Britischen Museums, den damals Lawrence Binyon verwaltete, die farbig illustrierten Bücher ›Europa‹, ›Amerika‹, ›Das Buch Hiob‹ zeigen zu lassen, die heute Rarissima des Antiquariats geworden sind, und ich war wie verzaubert. Hier sah ich zum erstenmal eine jener magischen Naturen, die, ohne klar ihren Weg zu wissen, von Visionen wie mit Engelsflügeln durch alle Wildnisse der Phantasie getragen werden; Tage und Wochen versuchte ich tiefer in das Labyrinth dieser naiven und doch zugleich dämonischen Seele einzudringen und einige Gedichte von ihm deutsch wiederzugeben. Ein Blatt von seiner Hand zu besitzen, wurde beinahe zur Gier, schien aber zunächst eine fast nur traumhafte Möglichkeit. Da erzählte mir eines Tages mein Freund Archibald G. B. Russell, schon damals der beste Kenner Blakes, in der Ausstellung, die er veranstalte, sei eines der ›visionary portraits‹ zu verkaufen, seiner (und meiner) Meinung nach die schönste Bleistiftzeichnung des Meisters, der ›King John‹. »Sie werden ihrer nie müde werden«, versprach er mir, und er hat recht behalten. Von meinen Büchern und Bildern hat dieses eine Blatt mich mehr als dreißig Jahre begleitet, und wie oft hat der magisch-erleuchtete Blick dieses irren Königs von der Wand auf mich geblickt; von allem Verlorenen und Fernen meiner Habe ist es diese Zeichnung, welche ich auf meiner Wanderschaft am meisten misse. Der Genius Eng
lands, den zu erkennen in Straßen und Städten ich mich vergebens bemüht, plötzlich war er mir offenbar geworden in Blakes wahrhaft astraler Gestalt. Und ich hatte zu vieler Weltliebe wieder eine neue gewonnen.

UMWEGE AUF DEM WEGE ZU MIR SELBST
    Paris, England, Italien, Spanien, Belgien, Holland, dies neugierige Wandern und Zigeunern war an sich erfreulich und in vieler Hinsicht ergiebig gewesen. Aber schließlich benötigt man doch – wann wußte ich es besser als heute, da mein Wandern durch die Welt kein freiwilliges mehr ist, sondern ein Gejagtsein? – einen stabilen Punkt, von dem aus man wandert, und zu dem man immer wieder zurückkehrt. Eine kleine Bibliothek hatte sich in den Jahren seit der Schule angehäuft, Bilder und Andenken; die Manuskripte begannen sich zu dicken Paketen zu stauen, und man konnte diese willkommene Last schließlich nicht ständig in Koffern durch die Welt schleppen. So nahm ich mir eine kleine Wohnung in Wien,

Weitere Kostenlose Bücher