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Die Welt von Gestern

Die Welt von Gestern

Titel: Die Welt von Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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was ihm vorschwebe, sei ein kleines Stück, womöglich in Versen und am besten mit einer jener lyrischen Kaskaden, wie er sie – einzig in der deutschen Theaterkunst – dank seiner grandiosen Sprechtechnik, ohne Atem zu holen, in einem Guß kristallen niederstürzen lassen konnte auf eine selbst atemlos lauschende Menge. Ob ich ihm nicht einen solchen Einakter schreiben könnte?
    Ich versprach, es zu versuchen. Und Wille kann, wie Goethe sagt, manchmal ›die Poesie kommandieren‹. Ich entwarf in der Skizze einen Einakter ›Der verwandelte Komödiant‹, ein federleichtes Spiel aus dem Rokoko mit zwei eingebauten großen lyrisch-dramatischen Monologen. Unwillkürlich hatte ich bei jedem Wort aus seinem Willen heraus gedacht, indem ich mich mit aller Leidenschaft in Kainzens Wesen und selbst Sprachweise hineinfühlte; so wurde diese gelegentliche Arbeit einer jener Glücksfälle, wie sie nie bloße Handfertigkeit, sondern einzig Begeisterung verwirklicht. Nach drei Wochen konnte ich Kainz die halbfertige Skizze zeigen mit der einen schon eingebauten ›Arie‹. Kainz war ehrlich enthusiasmiert. Er rezitierte sofort aus dem Manuskript zweimal jene Kaskade, das zweite Mal schon mit unvergeßlicher Vollendung. Wie lange ich noch brauche? fragte er, sichtlich ungeduldig. Einen Monat. Vortrefflich! Das klappe wunderbar! Er ginge jetzt für einige Wochen zu einem Gastspiel nach Deutschland, nach seiner Rück
kehr müßten sofort die Proben beginnen, denn dieses Stück gehöre ins Burgtheater. Und dann, das verspreche er mir: wohin er immer reise, nehme er es in sein Repertoire, denn es passe ihm wie ein Handschuh. »Wie ein Handschuh!« Immer wieder von neuem wiederholte er, mir dreimal herzlich die Hand schüttelnd, dieses Wort.
    Offenbar hatte er das Burgtheater noch vor seiner Abreise rebellisch gemacht, denn der Direktor telephonierte mir höchstpersönlich, ich möchte ihm den Einakter schon in der Skizze zeigen und nahm ihn sofort im voraus an. Die Rollen um Kainz wurden bereits den Burgschauspielern zur Lektüre übermittelt. Wieder schien ohne besonderen Einsatz das höchste Spiel gewonnen – das Burgtheater, unser Stadtstolz, und im Burgtheater noch der neben der Duse größte Schauspieler der Zeit in einem Werk von mir: fast zuviel war dies für einen Beginnenden. Jetzt bestand nur noch eine einzige Gefahr, nämlich, daß Kainz vor dem vollendeten Stücke seine Meinung ändern könnte, aber wie unwahrscheinlich war dies! Immerhin war die Ungeduld jetzt auf meiner Seite. Endlich las ich in der Zeitung, Josef Kainz sei von seiner Gastspielreise zurückgekehrt. Zwei Tage zögerte ich aus Höflichkeit, um ihn nicht gleich bei seiner Ankunft zu überfallen. Am dritten Tag aber ermannte ich mich und überreichte dem mir wohlbekannten alten Portier im Hotel Sacher, wo Kainz damals wohnte, meine Karte: »Zu Herrn Hofschauspieler Kainz!« Der alte Mann starrte mich über seinem Zwicker erstaunt an. »Ja, wissen's denn noch nicht, Herr Doktor?« Nein, ich wußte nichts. »Sie haben ihn doch heute früh ins Sanatorium geführt.« Nun erst erfuhr ich's: Kainz war schwerkrank von seiner Gastspielreise zurückgekommen, auf der er, die furchtbarsten Schmerzen vor dem nichtsahnenden Publikum heroisch bemeisternd, zum letztenmal seine großen Rollen gespielt. Am nächsten Tage wurde er wegen Krebs ope
riert. Noch wagten wir nach den Zeitungsbulletins auf eine Genesung zu hoffen, und ich besuchte ihn an seinem Krankenbett. Er lag müde da, abgezehrt, noch größer als sonst schienen die dunklen Augen in dem verfallenen Gesicht, und ich erschrak: über den ewig jugendlichen, den so herrlich beredten Lippen zeichnete sich zum erstenmal ein eisgrauer Schnurrbart ab, ich sah einen alten, einen sterbenden Mann. Wehmütig lächelte er mir zu: »Wird's mich der liebe Gott noch spielen lassen, unser Stück? Das könnt' mich noch gesund machen.« Aber wenige Wochen später standen wir an seinem Sarg.

    Man wird mein Unbehagen verstehen, weiter im Dramatischen zu beharren und die Besorgnis, die sich fortan meldete, sobald ich ein neues Stück einem Theater übergab. Daß die beiden größten Schauspieler Deutschlands gestorben waren, nachdem sie meine Verse als letzte geprobt, machte mich, ich schäme mich nicht, es einzugestehen, abergläubisch. Erst einige Jahre später raffte ich mich wieder zum Dramatischen auf, und als der neue Direktor des Burgtheaters, Alfred Baron Berger, ein eminenter Fachmann des Theaters und Meister des

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