Die Welt von Gestern
übertrage. Pirandello habe selbstverständlich gezögert, meine Zeit mit Übertragungen zu vertun! Und so habe er es selbst übernommen, mir Pirandel
los Bitte vorzutragen. Nun war tatsächlich Übersetzen seit Jahren nicht mehr meine Sache. Aber ich verehrte Pirandello, mit dem ich einige gute Begegnungen gehabt, zu sehr, um ihn zu enttäuschen, und vor allem bedeutete es für mich eine Freude, einem derart innigen Freund wie Moissi ein Zeichen meiner Kameradschaft geben zu können. Ich ließ für ein oder zwei Wochen die eigene Arbeit; wenige Wochen später war Pirandellos Stück in meiner Übersetzung in Wien zur internationalen Uraufführung angesetzt, die überdies dank politischer Hintergründe besonders groß aufgezogen werden sollte. Pirandello hatte persönlich sein Kommen zugesagt, und da damals Mussolini noch als der erklärte Schutzpatron Österreichs galt, meldeten schon die ganzen offiziellen Kreise mit dem Kanzler an der Spitze ihr Erscheinen an. Der Abend sollte zugleich eine politische Demonstration der österreichisch-italienischen Freundschaft (in Wahrheit des Protektorats Italiens über Österreich) sein.
Ich selbst befand mich in diesen Tagen, da die ersten Proben beginnen sollten, zufällig in Wien. Ich freute mich auf das Wiedersehen mit Pirandello, ich war immerhin neugierig, die Worte meiner Übertragung in der Sprachmusik Moissis zu hören. Aber mit gespenstischer Ähnlichkeit wiederholte sich nach einem Vierteljahrhundert dasselbe Geschehnis. Als ich frühmorgens die Zeitung aufschlug, las ich, Moissi sei mit einer schweren Grippe aus der Schweiz eingetroffen und die Proben müßten wegen seiner Erkrankung verschoben werden. Eine Grippe, dachte ich, das kann nicht so ernst sein. Aber heftig schlug mir das Herz, als ich mich dem Hotel näherte – Gott sei Dank, tröstete ich mich, nicht das Hotel Sacher, sondern das Grand Hotel! –, um den kranken Freund aufzusuchen; die Erinnerung an jenen vergeblichen Besuch bei Kainz ward wie ein Schauer lebendig. Und genau das gleiche wiederholte sich über ein Vier
teljahrhundert hinweg an abermals dem größten Schauspieler seiner Zeit. Es wurde mir nicht mehr erlaubt, Moissi zu sehen, das Fieberdelirium hatte begonnen. Zwei Tage später stand ich wie bei Kainz statt bei der Probe vor seinem Sarg.
Ich habe mit der Erwähnung dieser letzten Erfüllung jenes mystischen Bannes, der mit meinen theatralischen Versuchen verbunden war, in der Zeit vorausgegriffen. Selbstverständlich sehe ich in dieser Wiederholung nichts als einen Zufall. Aber zweifellos hat seinerzeit der rasch aufeinanderfolgende Tod von Matkowsky und Kainz bestimmende Wirkung auf die Richtung meines Lebens gehabt. Hätte dem Sechsundzwanzigjährigen damals Matkowsky in Berlin, Kainz in Wien die ersten Dramen auf die Bühne gestellt, ich wäre dank ihrer Kunst, die auch das schwächste Stück zum Erfolg tragen konnte, rascher und vielleicht ungerecht rasch in die breitere Öffentlichkeit vorgetreten und hätte dafür die Jahre des langsamen Lernens und Welterkundens versäumt. Damals habe ich mich verständlicherweise als vom Schicksal verfolgt empfunden, da das Theater mir schon im ersten Beginn Möglichkeiten, die ich nie zu träumen gewagt, erst so verlockend hinhielt, um sie mir dann im letzten Augenblick grausam zu nehmen. Aber nur in ersten Jugendjahren scheint Zufall noch mit Schicksal identisch. Später weiß man, daß die eigentliche Bahn des Lebens von innen bestimmt war; wie kraus und sinnlos unser Weg von unseren Wünschen abzuweichen scheint, immer führt er uns doch schließlich zu unserem unsichtbaren Ziel.
ÜBER EUROPA HINAUS
Ist die Zeit damals schneller gegangen als heute, da sie überfüllt ist mit Geschehnissen, die unsere Welt für Jahrhunderte von der Haut bis in die Eingeweide verändern werden? Oder erscheinen mir diese meine letzten Jugendjahre vor dem ersten europäischen Kriege nur deshalb ziemlich verschwommen, weil sie in regelmäßiger Arbeit verliefen? Ich schrieb, ich veröffentlichte, man kannte in Deutschland und außerhalb schon einigermaßen meinen Namen, ich hatte Anhänger und – was eigentlich mehr für eine gewisse Eigenart spricht – schon Gegner; alle großen Zeitungen des Reichs standen mir zur Verfügung, ich mußte nicht mehr einsenden, sondern wurde aufgefordert. Aber innerlich täusche ich mich keineswegs darüber, daß all das, was ich in jenen Jahren tat und schrieb, für heute ohne Belang wäre; alle unsere Ambitionen, unsere
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