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Die Welt von Gestern

Die Welt von Gestern

Titel: Die Welt von Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Vortrags, das Drama sofort akzeptierte, sah ich mir beinahe ängstlich die Liste der ausgewählten Schauspieler an und atmete paradoxerweise auf: »Gott sei Dank, es ist kein Prominenter darunter!« Das Verhängnis hatte niemanden, gegen den es sich auswirken konnte. Und dennoch geschah das Unwahrscheinliche. Sperrte man dem Unheil die eine Pforte, so schleicht es durch eine andere ein. Ich hatte nur an die Schauspieler gedacht, nicht an den Direktor, der sich persönlich die Leitung meiner Tragödie ›Das Haus am Meer‹ vorbehalten und das Regiebuch schon entworfen hatte, an Alfred Baron Berger. Und tatsächlich: vierzehn Tage ehe die ersten Proben beginnen sollten, war er tot. Der Fluch war also noch in Kraft, der auf mei
nen dramatischen Werken zu lasten schien; selbst da mehr als ein Jahrzehnt später ›Jeremias‹ und ›Volpone‹ nach dem Weltkrieg in allen denkbaren Sprachen über die Bühne gingen, fühlte ich mich nicht sicher. Und ich handelte bewußt gegen mein Interesse, als ich 1931 ein neues Stück ›Das Lamm des Armen‹ vollendet hatte. Einen Tag nachdem ich ihm das Manuskript zugesandt, bekam ich von meinem Freunde Alexander Moissi ein Telegramm, ich möchte ihm die Hauptrolle in der Uraufführung reservieren. Moissi, der aus seiner italienischen Heimat einen sinnlichen Wohllaut der Sprache auf die deutsche Bühne gebracht, wie sie ihn vordem nie gekannt, war damals der einzige große Nachfolger von Josef Kainz. Bezaubernd als Erscheinung, klug, lebendig und außerdem noch ein gütiger und begeisterungsfähiger Mensch, gab er jedem Werke etwas von seinem persönlichen Zauber mit; ich hätte mir keinen idealeren Vertreter für die Rolle wünschen können. Aber dennoch, als er mir den Vorschlag machte, regte sich die Erinnerung an Matkowsky und Kainz, ich lehnte Moissi unter einer Ausflucht ab, ohne ihm den wahren Grund zu verraten. Ich wußte, er hatte von Kainz den sogenannten Ifflandring geerbt, den immer der größte Schauspieler Deutschlands seinem größten Nachfolger vermachte. Sollte er am Ende auch Kainzens Schicksal miterben? Jedenfalls: ich für meine Person wollte nicht ein drittes Mal für den größten deutschen Schauspieler der Zeit Anstoß des Verhängnisses sein. So verzichtete ich aus Aberglauben und aus Liebe zu ihm auf die für mein Stück fast entscheidende Vollendung der Darstellung. Und doch, selbst durch meinen Verzicht konnte ich ihn nicht schützen, obwohl ich ihm die Rolle verweigert, obwohl ich seitdem kein neues Stück an die Bühne gegeben. Noch immer sollte ich ohne die leiseste Schuld in fremdes Verhängnis verstrickt sein.
    Ich bin mir bewußt, in den Verdacht zu geraten, eine Ge
spenstergeschichte zu erzählen. Matkowsky und Kainz, dies mag als durch argen Zufall erklärbar gelten. Wie aber Moissi noch nach ihnen, da ich ihm doch die Rolle versagt und kein neues Drama seitdem geschrieben? Das ereignete sich so: Jahre und Jahre später – ich greife in meiner Chronik hier der Zeit voraus – war ich im Sommer 1935 nichtsahnend in Zürich, als ich plötzlich ein Telegramm aus Mailand von Alexander Moissi erhielt, er käme abends eigens meinetwegen nach Zürich und bitte mich, ihn unbedingt zu erwarten. Sonderbar, dachte ich mir. Was kann ihm so dringlich sein, ich habe doch kein neues Stück und bin gegen das Theater seit Jahren recht gleichgültig geworden. Aber selbstverständlich erwartete ich ihn mit Freuden, denn ich liebte diesen heißen, herzlichen Menschen wirklich brüderlich. Er stürzte aus dem Waggon auf mich zu, wir umarmten uns nach italienischer Art, und noch im Auto von der Bahn erzählte er mir in seiner prächtigen Ungeduld, was ich für ihn tun könne. Er habe eine Bitte an mich, eine ganz große Bitte. Pirandello habe ihm eine besondere Ehrung erwiesen, indem er sein neues Stück ›Non si sà mai‹ ihm zur Uraufführung übertragen habe, und zwar nicht bloß für die italienische, sondern für die wirkliche Welt-Uraufführung – sie solle in Wien stattfinden und in deutscher Sprache. Es sei das erste Mal, daß ein solcher Meister Italiens mit seinem Werke dem Ausland den Vorrang gebe, selbst für Paris habe er sich nie entschlossen. Nun liege Pirandello, der befürchte, es könnten in der Übertragung das Musikalische und die Zwischenschwingungen seiner Prosa verlorengehen, ein Wunsch besonders am Herzen. Er möchte gerne, daß nicht ein zufälliger Übersetzer, sondern ich, dessen Sprachkunst er seit langem schätze, das Stück ins Deutsche

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