Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann
auch unsere Religionen schon weltraumfähig?
Gegen Ende des letzten Jahrtausends fand an der Ben-Gurion-Universität in Israel eine Tagung von Naturwissenschaftlern und
Vertretern verschiedener Religionen statt, die miteinander über die Weltraumfähigkeit der Religion diskutierten. Im Tagungsbericht
heißt es: »Die Religionsführer zeigten sich amüsiert.« Sie schienen nicht zu begreifen, welches Problem sich aus dem Weltbild
der modernen Astronomie für ihre Religionen ergibt. Moses, Muhammad im Weltraum – war das ein Witz? Ich bin nicht amüsiert,
ich lache auch nicht. Wo zum Beispiel liegt Mekka vom Mars aus gesehen? Wie trennt man in der Raumstadt Fleisch und Milch,
um wie die Juden koscher zu essen? Dass Jesus für die Sünden der Welt gestorben ist, bekennen die Christen auf der Erde, wollen
sie mit ihrer Botschaft vom Kreuz auch den Andromeda-Sektor missionieren? Oder, wo baden Hindus ohne den heiligen Ganges?
Wie funktionieren die Sabbatgebote in elektronisierten Welten? Was lernen die Kinder ferner Planeten, unsere Nachkommen, im
Religionsunterricht? Wird man ihnen von der Westmauer des Tempels in Jerusalem erzählen, vom Heiligen Grab des Propheten Muhammad
in Medina?
Wenn wir die Religionen von einem imaginären Standpunkt im Weltall aus betrachten, hat es den Anschein, als ob die Theologen
immer noch in der Vorstellung |206| leben, die Erde sei der Mittelpunkt aller denkbaren Welten. Dabei erklärte vor einem halben Jahrtausend schon Nikolaus Kopernikus,
dass dies nicht der Fall ist. Und seit Kopernikus hat sich unser Weltbild noch einmal um entscheidende Dimensionen erweitert.
Eine Vielzahl, Dutzende von extrasolaren Planeten sind mittlerweile entdeckt worden. Sie kreisen weit weg von der Erde um
andere kosmische Muttersterne im All. Unser Sonnensystem ist kein Einzelfall. Möglicherweise existieren da draußen sogar Planeten,
die bereits Leben beherbergen. Oder die irgendwann im Lauf der nächsten Jahr-Milliarden Lebewesen hervorbringen könnten. Kurzum,
wir sind Teil eines Prozesses, der nach kosmischen Maßstäben eben erst begonnen hat, und dessen Ende buchstäblich noch in
den Sternen steht.
Längst keine Science-Fiction mehr sind Weltraum-Zivilisationen für die Fans der Serienfilme »Krieg der Sterne«. Jedi-Ritter,
die Helden der neuen Fantasiereligion, haben in den Herzen ihrer Verehrer einen festen Platz gefunden. Luke Skywalker und
Obi-Wan Kenobi sind ihnen nah wie gläubigen Christen die Bilder von Maria und Josef mit dem Jesuskind.
Unseren offiziellen Religionsgemeinschaften ist die elektronische Jedi-Religion um Lichtjahre in die Raumzeit vorausgeeilt.
Die offiziellen Religionen der Erde haben die Erkenntnisse der Astronomie schlichtweg verschlafen. Sie sind keine »Welt«-Religionen,
sondern rein lokale Angelegenheiten. Mehr nicht. Ausschließlich auf die menschliche Spezies zugeschnitten, anthropozentrisch,
geozentrisch und männerorientiert obendrein. Und das, obwohl die Astrophysiker Zukunft längst in Milliarden von Lichtjahren
berechnen. Wo finden Einsteins Erkenntnisse ihren Ausdruck in den irdischen Religionen? Bei den Juden, Muslimen oder bei den
Christen?
Die erd- und ortsgebundenen Religionen Abrahams bekommen tatsächlich extreme Probleme mit ihrer Weltraumtauglichkeit. Erinnern
wir uns, zwischen den Marsbergen müssten Muslime ihre Gebetsorientierung an einem virtuellen Mekka ausrichten. Anders bei
den Buddhisten. Buddhistische Gelehrten-Mönche rechneten von jeher in astronomischen Zyklen und Entfernungen, bewegten sich
immer schon in einer unendlichen Vielfalt von Universen. Als Klosterreligion ist der Buddhismus vielleicht kosmisch nicht
kompatibel. Doch wer weiß? Warum soll es zwischen den Sternen nicht irgendwann schwebende Klöster geben? Der Amida-Buddhismus
Japans hat jedenfalls gar keine Probleme mit den Dimensionen der modernen Astronomie. Erst recht nicht der Zen-Buddhismus:
Triffst du Buddha galaktisch, schlag ihn tot! Denn Buddha ist kein Teil der Wirklichkeit, sondern es ist diese selbst. Alles
ist Buddha-Natur: |207| der ganze Kosmos mit all seinen Galaxien, mit all den Lebewesen, die es dort draußen vielleicht gibt. Und die uns heute noch
anschweigen.
Auch den Tao Te King des Laotse würden meine Urenkel raumreisend lesen können: »Es folgt der Mensch der Erde, die Erde folgt
dem Himmel, der Himmel folgt der Tao-Natur.« Dem Yin und Yang. »Ich schaue hin und sehe nichts, ich nenne es
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