Die Wiederkehrer
nichts mehr! Er war ein Versager, kein Job, kein Dach über den Kopf, hatte einen Bauch, verlor die ersten Haare und eine Frau würde er auch nicht mehr finden. Die waren alle verheiratet und hatten Kinder, oder sie wollten heiraten und Kinder, und dazu war Niko nicht bereit – und nicht imstande. Das war wohl auch so ein Knackpunkt gewesen, an dem die Beziehung mit Karin gescheitert war. Es hatte sich vor einigen Jahren herausgestellt, dass Niko unfruchtbar war. Sein Arzt hatte ihm zwar genau erklärt, woran es lag – aber Niko hatte es nicht so genau wissen wollen. Was spielte es für eine Rolle? Es änderte ja nichts an den Tatsachen. Augen zu und durch.
Warum funktionierte sie
jetzt
nicht? Diese Sache mit dem
'Augen zu und durch'?
Niko müsste doch nur die Tür aufreißen und auf die Fahrbahn springen. Der nächste LKW würde Mus aus ihm machen und er hätte endlich seinen Frieden. Warum flennte er stattdessen wie ein Baby, sodass ihm der Rotz bis zum Knie hing? Er war nicht nur erbärmlich, er war eklig. Verdammt, er müsste doch bloß aussteigen und einen Schritt machen. Feigling, elender! Tu es! Tu es, verdammt! Wen kümmert es schon! Es ist für alle das Beste!
Niko ließ einen solchen Schrei los, dass er das Gefühl hatte, die Adern auf der Stirn würden platzen, die Stimmbänder reißen und die Lunge explodieren. Er hasste sich selbst so sehr, dass er gar nicht wusste wohin mit der Wut. Am meisten hasste er sich dafür, dass er verflucht nochmal solche Angst vor dem Tod hatte.
Echt miese Story
Schon seit einigen Minuten hatte das Auto nicht mehr geruckelt. Überhaupt war es verdächtig ruhig geworden. Das Rauschen der Reifen und Brummen der Motoren war verschwunden. Niko hielt inne, lauschte und warf einen Blick auf die verwaiste Straße. Auch der Seitenspiegel zeigte eine gähnend leere Asphaltfläche. Wo waren all die Autos hin? War etwas Schlimmes passiert? Vielleicht ein Unfall. Auch auf der Gegenfahrbahn war es still geworden. Zwei Unfälle? Hatte man die Straße möglicherweise für einen Schwertransport gesperrt? Mit fahrigen Händen tastete Niko zum Autoradio und schaltete es ein. Rauschen. Er drückte auf den Knopf für den Senderdurchlauf, der auch prompt die Arbeit begann. Der Kasten mühte sich ab, brachte aber nichts hervor. Auch Nikos Handy fand kein Netz. Das war gespenstisch. Über Nikos Rücken kletterte Gänsehaut und ihm war, als hauche ihm jemand eiskalt in den Nacken. Panisch fuhr er herum, aber da war keiner. Woher auch?
Die Angst vor dem Tod wich einer ganz anderen, dumpf pochenden Angst, die sich schwer in Nikos Magen legte, anschwoll und mit klammen Händen nach seiner Kehle krallte.
Endlich schaffte es Niko, die Fahrertür zu öffnen, obgleich die gespenstische Stille noch fürchterlicher war, als der Gedanke an einen jähen Aufprall am Kühlergrill eines LKWs. Er stieg aus. Der Asphalt wirkte so nah, so unfassbar präsent, als wäre Niko nur wenige Zentimeter groß. Die Sonne versengte das Land, über der Autobahn flirrte die Luft, es roch nach Hochsommer, nach gedüngten Feldern, Gummi und heißer Straße. Ein schrecklicher Gedanke braute sich zusammen. War Niko etwa tot? Hätte er das nicht merken müssen? Er war doch gar nicht aus dem Wagen gesprungen. Kein Aufprall, kein Poltern, kein Geräusch quietschender Reifen und dröhnender Hupen, kein Schmatzen eines sich zerlegenden Körpers. Sah man nicht außerdem im Todeskampf die Vergangenheit noch einmal vor dem geistigen Auge vorbeiziehen? Oh – sie
war
an ihm vorbeigezogen! Verdammt! Und das grelle Licht? Nun, Nikos Augen brannten von der sengenden Sonne, den grellen Reflektionen durch den Asphalt.
Scheiße! Niko war nicht bereit für das hier. Er wollte noch nicht sterben. Jetzt, wo er fürchtete tot zu sein, wünschte er sich sein Leben zurück, sehnte er sich sogar nach den Unannehmlichkeiten, dem Leid und dem Schmerz. Es hätte doch noch so vieles gegeben, dass er hätte tun können, das er noch hätte erleben können, ausprobieren. Niko hatte nie Golf gespielt, war nie mit einem Fallschirm gesprungen, hatte das Meer nicht gesehen und hatte er nicht einst davon geträumt, nach Prag zu reisen? Er wollte spüren, wie das Salzwasser an seiner Haut leckte, wie der Wind ihm ins Gesicht schlug. Er hätte sich ein Motorrad kaufen können, sich die Haare wachsen lassen, als einsamer Wolf durch die Welt reisen, abnehmen, Gewichte stemmen und in jedem Städtchen ein Mädchen haben. Er hätte … es war ein kühner
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