Die Wiederkehrer
die Ehe für Homosexuelle freizugeben. Bernd widerstand der Versuchung, den Artikel zu lesen. Er vermied es überhaupt, sich Kritiken und Rezensionen anzutun. Seiner Ansicht nach hatten diese weit mehr mit dem Verfasser zu tun, als mit dem Werk. Es gab immer wieder Leser, die sich weder durch Titelbild noch durch den Klappentext davon überzeugen ließen, dass es sich hier um schwule Geschichten handelte, und sich dann maßlos darüber aufregten, dass darin Männer miteinander fickten. Sie vergaben schlechte Noten und zerrissen das Werk. Was hatte es für einen Sinn, sich mit der Meinung von Menschen zu befassen, die schlichtweg zu dumm waren, sogar den Inhalt eines Klappentextes zu erfassen, oder, aufgrund des Covers darauf zu schließen, worum es sich bei diesen Büchern handelte.
Bernd blätterte lustlos von Seite zu Seite. Eigentlich mochte er keine Zeitungen, hasste sie sogar, aber Niko hatte damals darauf bestanden, dass sie eine abonnierten.
'Damit die Nachbarn nicht misstrauisch werden, weil wir so wenig Altpapier haben'
, hatte er gescherzt.
Plötzlich fiel Bernds Blick auf eine Anzeige:
„Hundert Jahre und hundert Jahre und noch einmal hundert Jahre mit dir an meiner Seite. Siebzehn haben wir schon … Mein liebster Schatz, Bernd, willst du mit mir die nächsten zweihundertdreiundachtzig Jahre verbringen? Dein Niko. PS: Die Ringe sind im Kühlschrank.“
Bernd las die Anzeige wieder und wieder, sein Herz raste, die Knie wurden ganz weich. Das war doch … das … Er blickte hoch. Das war doch … Mit wackeligen Beinen erhob er sich und tappte zum Kühlschrank, öffnete ihn und tatsächlich. Im mittleren Fach, ganz vorne, stand eine Schatulle. Wie hatte er sie vorhin übersehen können, als er die Milch herausgeholt hatte? Vorsichtig strich er darüber, dann holte er sie heraus, klappte den Deckel hoch und erblickte zwei schlichte, silberne Ringe. Bernd musste lachen und dabei liefen ihm Tränen über die Wangen.
Er lief ins Schlafzimmer, in dem Niko noch immer in tiefem Schlummer lag. Er war so schön, wie er so friedlich dalag, das Laken halb von seinem Körper gerutscht und um die Beine gewickelt. Den Rücken zierte ein üppiges Tattoo und verbarg die langen Nähte, die Niko von seinem schrecklichen Unfall zurückbehalten hatte. Es waren die achtundzwanzig schlimmsten Stunden in Bernds Leben gewesen, ehe Niko aus dem Koma erwacht war. Eine weitere Narbe zog sich von den Hüften über den Oberschenkel bis zum Knie. Vorsichtig legte sich Bernd zu ihm. Durch die Bewegung der Matratze wachte Niko auf und blinzelte Bernd an.
„Hey“, sagte er sanft, da wurden seine Lippen bereits von einem wilden Kuss verschlossen.
„Ja“, sagte Bernd, schlang die Arme um seinen Verlobten und brabbelte: „Ja, ja, ja und ich lege noch einmal dreihundert Jahre obendrauf.“
Was sie den Rest des Vormittages machten, könnt ihr euch vermutlich denken.
Der Sonne entgegen
„Sechshundert Jahre?“, brummte Harry, kaute mit offenem Mund an seinem Kaugummi und ließ den Blick durch die verspiegelte Brille in die Ferne schweifen.
„Naja, genau genommen noch fünfhundertdreiundachtzig“, meinte Billy, der aussah wie der zu Fleisch gewordene Gott der Marineoffiziere. Er stand mit strammer Haltung da und blickte aristokratisch in dieselbe Ferne.
„Das ist unverschämt, oder?“, sagte Harry, hob die Polizeimütze an und kratzte sich am Scheitel.
„Total unverschämt!“, bestätigte Billy und zupfte verhalten am Saum der schneeweißen Uniform.
„Außerdem haben wir das noch nie gemacht“, gab Harry zu bedenken und setzte die Kappe wieder auf.
„Noch nie“, erklärte Billy und strich kurz mit der flachen Hand über die Abzeichen auf seiner Brust.
„Es wäre das erste Mal“, überlegte Harry.
„Das allererste Mal.“ Billy nickte.
„Einmal ist
immer
das erste Mal, nicht wahr?“, meinte Harry. Sie schauten eine Weile der Sonne zu, die sich langsam senkte um in Kürze die Erde zu küssen. Dabei errötete sie in stiller Erwartung.
„Hast du Whiskey dabei?“, fragte Harry.
„Jepp“, murmelte Billy und holte einen Flachmann aus der inneren Brusttasche. Harry nahm ihm diesen grob aus der Hand, setzte an und ein bernsteinfarbener Tropfen bahnte sich einen Weg über seinen gewaltigen Kiefer. Billy verfolgte jeden Millimeter, den diese glitzernde Perle zurücklegte. Als Harry die Flasche wieder absetzte, blickte er Billy ernst an.
„Hast du nachher noch was vor?“, brummte er und zupfte
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