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Die Witzekiste

Die Witzekiste

Titel: Die Witzekiste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lentz
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Trümmerbeete zwischen den vielen zunächst eingeschossigen Neubauten. Die Westdeutschen ließen sich einen neuen Wohlstand gefallen, der aber Fernsehen und Autos zunächst noch nicht einschloss. Sie schätzten es, »unpolitisch« und privat zu sein. In Dortmund wurde am 2. Februar 1952 das damals größte Veranstaltungszentrum Europas eingeweiht, die Westfalenhalle.
    Die Älteren träumten von der guten alten Zeit, oder was sie dafür hielten. Sie fanden sie in den Abziehbildern der Monarchien, in Filmen mit Fürsten, Kaisern und anderen Edelleuten. Die Reportagen der Regenbogenpresse über die Krönung der englischen Königin 1952, die Hochzeit Gracia Patricias in Monaco oder die gefährdete Liebe zwischen Soraya und dem Schah von Persien wurden verschlungen.
    Der Publizist Ernst Friedländer schrieb über die fünfziger Jahre in der Zeitschrift ›Magnum‹: »Der stärkste politische Consensus geht heute dahin, sich für Politik möglichst wenig zu interessieren. DieFlucht ins Privatleben, die nach dem Exzess der Hitlerjahre verständlich sein mochte, ist bis auf weiteres zu einer lieben Gewohnheit geworden.«
    Der Wiederaufbau in Deutschland, der nicht unbedingt Neuaufbau war, passte sich der Sehnsucht der Deutschen nach Konservativem an. Sie wollten am liebsten alles wieder so haben, wie es früher war. Wobei unbestimmt blieb, was mit »früher« gemeint war. Die Architektur der neuen Sachlichkeit wirkte ja auch ziemlich öde, Phantasie ging ihr nicht voraus. Der Witz suchte sich seine Opfer im Umfeld.

    Ein Maurerpolier kommt zum Unternehmer und sagt: »Chef , wir müssen dem alten Bernsmann unbedingt mehr Geld geben, sonst haut der womöglich hier ab. Der arbeitet mit einem Tempo, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Er ist ein richtiges Vorbild für alle anderen, aber er verdient zu wenig.«
    »Gut« , sagt der Chef, »das sehe ich mir an.« Er stellt sich hinter ein Baugerüst und beobachtet den alten Bernsmann bei der Arbeit.
    Der kommt im Laufschritt über einen Brettersteg, bekleidet mit einem Kittel und einer Skimütze. Seine Schubkarre ist vollbeladen mit Ziegelsteinen. Er hastet damit zum Baugerüst, kippt die Karre um und rennt mit ihr wieder zurück.
    »Donnerwetter« , staunt der Chef, »ich habe auf die Uhr gesehen, das ist ein Schnitt von 2,5 Minuten , die anderen brauchen runde vier.« Er beobachtet seinen Akkordarbeiter noch eine Weile, und als dessen Tempo nicht nachlässt, stellt er sich ihm schließlich in den Weg.
    »Herr Bernsmann« , sagt der Chef, »eine Sekunde bitte! Ich habe Ihnen bei der Arbeit zugesehen und muss sagen, das ist ganz fabelhaft. Wenn Sie so weitermachen, werde ich Ihren Lohn um 50 Pfennig die Stunde erhöhen.«
    Der alte Bernsmann blickt den Unternehmer missmutig an und sagt: »So , dafür habt Ihr Geld! Aber mir ‘ne größere Schubkarre kaufen, dafür reicht’s nicht , was?«

    Das ist eine Art Gegenstück zu den Hennecke-Witzen in der DDR, die dort schon Ende der vierziger Jahre populär wurden. Adolf Hennecke wurde als »Held der Arbeit« gefeiert und sollte den Kollegen als leuchtendes Vorbild dienen. Die Spottdrossel aus der Ostzone sang:

    Eine Henne begeht Selbstmord. Sie hinterlässt einen Abschiedsbrief, in dem steht: »Ich habe mich erhängt, weil ich mein Eiersoll nicht erfüllen konnte.«

    Wenn man in totalitären Staaten Humor finden will, dann bei den Unterdrückten. Die Unterdrücker besitzen im Regelfall keinen. Pathos ist das Gegenteil von Humor. Der Sozialismus im »Arbeiter- und Bauernstaat« produzierte unfreiwillige Witze. Zum Beispiel den Arbeiter, der ohne Geld mehr und länger schuftet. Auch der Held der Arbeit kam natürlich aus der Sowjetunion. Die Schweizer ›Tat‹ ulkte am 12. Juli 1959:

    »Unter den vielen Telegrammen, die im Kreml eintreffen und in denen versprochen wird, die Ziele des Siebenjahresplans schon in sechseinhalb, in sechs, in fünf Jahren, ja in vier Jahren zu erreichen, befand sich auch ein Telegramm aus dem Gefängnis von Orel. Darin versprachen die Unterzeichner – alles Leute, die kürzlich zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt worden waren – , ihre Strafen bereits in sieben Jahren abzusitzen.«

    Obwohl alle Grenzen zu der Zeit noch sorgfältig kontrolliert wurden, stellte die Grenze durch Deutschland etwas Besonderes dar: eine Trennung der Welt. Hier standen sich die ehemaligen Verbündeten als kaum getarnte Feinde am »Eisernen Vorhang« gegenüber. Der dritte Weltkrieg auf deutschem Boden drohte. Er

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