Die Wohltäter: Roman (German Edition)
schaltete etwas brutal, aber an ihrer Fahrweise war nichts auszusetzen. Routiniert wechselte sie die Spuren und kam den hohen Schneewehen am Rand nie zu nah, obwohl sie mit hoher Geschwindigkeit dahinbrauste. Ninos hoffte, dass Manuel die Winterreifen montiert hatte. Vermutlich nicht, dachte er, beschloss jedoch, Ingrid nichts von seinem Verdacht zu berichten.
»Zu was für einem Haus fahren wir?«
»Es ist mein Sommerhaus. Wir haben viele Sommer dort verbracht. Ich habe es geerbt, als mein Vater vor vier Jahren gestorben ist, und es fiel mir schwer, mich davon zu trennen. Aber jetzt geht es nicht mehr länger.«
Sie schaltete in den höheren Gang und trat aufs Gas, sodass das Auto einen Satz nach vorn machte. »Ich kann es mir nicht leisten, es instand zu halten, und werde versuchen, es zu verkaufen. Heute muss ich die Wasserleitungen kontrollieren, die nicht einfrieren dürfen, sonst haben wir im Frühjahr Überschwemmungen. Und dann müsste ich erst recht renovieren, aber dafür habe ich kein Geld. Schließlich ist da auch noch Anna ... « Sie hielt einen Moment inne. »Anna braucht ja auch Geld. Sie studiert noch, und ich zahle ihre Rechnungen.«
Dann schwieg sie.
Ninos warf einen verstohlenen Blick auf die Frau, die sein Auto lenkte. Sie umgriff das Steuer fest mit beiden Händen. Ihre Fingernägel waren kurz und stumpf, ihr kräftiges Haar war einmal blond gewesen. Jetzt hatte sie es zu einem großen Knoten im Nacken zusammengerollt. Ihre ruhigen Augen sahen aus, als wüssten sie stets genau, was man dachte, und ihre Augenbrauen konnten ohne Vorwarnung in die Höhe schnellen, wobei sie meistens eher Misstrauen als Verwunderung ausdrückten. Sie hatte eine heisere Stimme und sprach mit Stockholmer Dialekt. Eigentlich sah sie tatsächlich so aus, als könnte sie mit ihren eigenen Händen ein Windkraftwerk bauen – und außerdem ziemlich böse werden, wenn jemand mit seiner Arbeit im Rückstand war.
Ingrid wandte sich ihm wieder zu.
»Kannst du schreiben?«
»Ja«, sagte Ninos. Er war kurz davor, die Frage als Beleidigung aufzufassen. »Als Kind von Analphabeten ist man dazu gezwungen. Ich kann schreiben, Briefe jedenfalls. Und alle möglichen Formulare ausfüllen.«
»Bis auf ein paar falsche Präpositionen sprichst du ja fehlerfrei Schwedisch«, sie lenkte ihren Blick wieder auf die Straße. »Mitunter ist dein Satzbau etwas merkwürdig, aber solche Fehler unterlaufen sogar Schweden, die hier geboren sind.«
»Was ist eine Präposition?«
»Alle diese Zwischenwörter, die man vor andere Wörter setzt. Von, bis, vor, hinter, auf, in ... Mit manchen Possessivpronomen und Fällen hast du auch Schwierigkeiten. Es heißt zum Beispiel: das Haus meiner Bekannten. Nicht ›meiner Bekannten ihr Haus‹. Verstehst du?«
»Ja. « Ninos war sich nicht sicher, ob er gerade ein Kompliment erhalten hatte oder als Idiot abgestempelt worden war. Seiner Meinung nach hatte er kein Problem, sei es nun mit Präpositionen oder den Häusern anderer Menschen. Stattdessen stellte er oft fest, dass die schwedische Sprache schlichtweg eine Fehlkonstruktion war. Warum sagte man zum Beispiel auf der Arbeit , obwohl man keineswegs aufs Dach der Arbeitsstelle kletterte. Es müsste in der Arbeit heißen, fand Ninos.
Nach einer Dreiviertelstunde erreichten sie Södertälje, wo die Gemeinde fröhliche Wimpel aufgehängt hatte, um die Autofahrer zu begrüßen. Ebenso wie die Schneewehen waren auch die einst knallblauen Wimpel bereits schwarz von Abgasen.
Ninos begriff, dass Ingrids Interesse für seine Schreibkünste in irgendeiner Form von Journalismus münden sollte, aber er wollte sie auch nicht belügen. Er war nicht der Meinung, dass Journalisten zu den begabtesten Menschen auf Erden gehörten. Jedenfalls nicht die, die er bisher kennengelernt hatte. Und das sagte er ihr auch.
Ingrid seufzte. »Ja, es gibt schlechte Journalisten. Genauso wie es schlechte Ärzte oder Klempner oder was weiß ich gibt. Wir müssen am anderen Ende anfangen.«
Sie dachte einen Moment nach.
»Es geht um Macht, Ninos. Macht bedeutet auch, Menschen beeinflussen zu können, oder?«
Dem konnte Ninos zustimmen.
»Zum Beispiel Staatsanwälte, Richter, Politiker, Geschäftsführer. Es gibt viele Menschen mit Macht. Über sie alle aber haben wiederum die Journalisten Macht – und ein Teil von ihnen hat noch nicht einmal eine Ausbildung! Sie können auf eine Art und Weise Druck ausüben, die noch nicht einmal Politikern offensteht.«
»Wie
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