Die Wohltaeter
und sie drückte auf den grünen Knopf, um abzuheben. Sie hatte sich noch nicht gemeldet, als sie schon jemanden ihren Namen sagen hörte, auf Schwedisch mit einem leichten Akzent.
»Ingrid?«
Mehr brauchte er nicht zu sagen. Ingrid wurde in einen langen Tunnel hineingesogen, den ganzen Weg zurück bis in die siebziger Jahre. Es ging so schnell, dass ihr schwindelig wurde. Sie versuchte, Verteidigungsmechanismen zu finden, suchte verzweifelt nach einem Knopf, der sie wieder ins Gleichgewicht brachte. Sie begann ihren Kopf zu sortieren, blätterte so schnell es ging durch alle Kurse und Therapiestunden, um sich an etwas zu erinnern, das diese unbehagliche Anfechtung zum Verschwinden bringen würde. Sie hatte so viel Zeit aufgewendet, um zu lernen, die starke, bestimmende Hand abzuwehren, die sie zurück in ein Dasein am Abgrund führen wollte, in dem ihr Leben nichts mehr wert gewesenwar. Damals war sie bereit gewesen, zu sterben, ja sogar zu töten. Aber in diesem Augenblick vergaß sie alles, was sie jahrelang trainiert hatte. Dieser Stimme gegenüber war sie machtlos.
»Ich weiß, es ist merkwürdig, dass ich anrufe. Aber ich tue es nicht, um dich zu bitten, zurückzukommen.« Er verstummte. »Ich glaube, meine Zeit ist jetzt gekommen. Ich werde den gleichen Weg gehen wie du.«
Ingrid hatte sich während des Gesprächs vor Nervosität am Schienbein gekratzt und hielt inne, da die brennende Wärme der Reibung durch das Nylon ihrer Strümpfe hindurch unerträglich wurde. Sie schlang ihre Arme um die angezogenen Beine und klemmte sich das Telefon ans Ohr. Sie konnte nichts sagen, schaffte es aber auch nicht, das Telefon von sich zu schleudern.
»Ich glaube, mein Leben hier ist bald beendet. Ich möchte, dass du mir hilfst.«
Wild blinkend signalisierte Ingrids Warnlampe vor ihrem inneren Auge Gefahr. Dies ist nur eine der vielen Varianten. Ich kenne sie alle. Er tut so, als wollte er sie verlassen, und ich soll ihm erzählen, wie es geht. Auf diese Weise können sie Menschen, die dabei sind, sich von ihnen zu lösen, daran hindern. Aber warum ausgerechnet jetzt? Ich bin schon so lange weg.
Doch sie vermochte es nicht, zu widersprechen. Es war zu tief in ihr verankert. Sie musste ihn kraft ihrer Gedanken bekämpfen, bis er aufhörte, zu sprechen. Ihre Gedanken schrien, aber sie selbst blieb stumm.
»Ich weiß, dass es Sachen gibt, die du bereust. Es ist viel verlangt. Aber ich glaube, wir können am Ende ein wenig Gerechtigkeit erzielen.«
»Wie denn?«, entfuhr es ihr.
»Ich kann mich nicht herausziehen, wenn ich nicht mit dir sprechen darf. Du bist die Einzige, die es verstehen wird. Wir haben gleichzeitig angefangen. Es muss ein Ende geben. Ich verstehe, dass dir das absurd erscheint, aber ich bin bereit, so viel ich kann, von hier mitzunehmen. Ein für alle Mal. Wir können es der Welt berichten. Ich weiß, dass du Journalistin bist.«
»Ich bin keine Journalistin.«
»In jedem Fall weißt du, wie es funktioniert. Aber darüber können wir später sprechen. Ich wollte nur deine Stimme hören. Ich habe Angst. Hier sind Dinge vorgefallen, die mich glauben lassen, dass ich nicht mehr lange hier sein kann, selbst wenn ich völlig stumm bleibe.«
Ingrid entgegnete nichts, sodass er fortfuhr.
»Ich weiß, dass seither viele Jahre vergangen sind. Aber du warst immer diejenige, die die Blumen auf dem Hof gegossen hat, wenn ich der Meinung war, dass sie genauso gut eingehen könnten.«
Eine Weile war es still, dann hörte Ingrid, wie er auflegte. Sie blieb sitzen und nahm das Telefon vom Ohr. Aber sie erwachte erst aus ihrem Schockzustand, als ihr das Telefon schließlich wie ein Fisch aus der Hand glitt und zu Boden fiel. Sie hatte es so fest umklammert, dass es schweißnass geworden war.
Vielleicht war es jetzt an der Zeit, dachte sie. Ihre Tochter hatte schon lange angedroht, ihre eigenen Wege zu gehen, wenn sie nicht mehr über ihre Geschichte erführe. Das Schlimmste, was passieren konnte, wäre, wenn sie auf dieselbe Bahn geriete, ohne dass Ingrid die Möglichkeit hatte, sie vor all den lauernden Gefahren zu warnen.
13
Der Sonntagnachmittag hatte gerade erst begonnen, und die Sonne strahlte, als sich die Ränge des Fußballplatzes Bårsta IP mit wilden, aufgeregten und eifrigen Menschen füllten. Zweitausend Hälse stimmten sich heiser auf den Takt ein: »HEJA-HEJA-HEJA-TÄLJE. « Der Anführer des Sprechchores schwang drohend sein Megafon und vergaß hin und wieder, es an den Mund zu setzen,
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