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Die Wohltaeter

Titel: Die Wohltaeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuri Kino Jenny Nordberg
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Vorstandsfunktion wegen solcher Petitessen aufzugeben.
    Flintberg hatte sich bereits wieder dem Bildschirm zugewandt. »Also, sind wir durch?«, fragte Karin. »Ich habe das auf meiner Checkliste und sehe mir HHH mal an?«
    »Exakt«, sagte Flintberg und drehte die Lautstärke seines PCs auf.

12
     
    Der Stuhl aus formgepresstem Plastik hatte eine Rundung im Rücken, die dazu führte, dass Ninos sich weder aufrecht hinsetzen, noch bequem zurücklehnen konnte. Irritiert rutschte er hin und her. Alle saßen auf ebensolchen Stühlen im Kreis, und die Luft im Raum war verbraucht. Die Neonröhren über ihnen verliehen ihren Gesichtern eine unvorteilhafte gelbe Färbung.
    Ninos hatte Doktor Rask versprochen, es zu versuchen. Wenn er regelmäßig zur Gruppentherapie ging, durfte er die Dosis der Antidepressiva senken. Die Therapie hatte nichts mit Wasser zu tun, und er musste nicht gemeinsam mit anderen Menschen halbnackt herumplanschen. Alle in der Gruppe litten unter einem Schleudertrauma, und es war angenehmer, gemeinsam darüber zu sprechen. Es war Rasks Vorschlag gewesen. Ninos Stimmung war bereits auf Schuhsohlenhöhe gesunken, als er nun mitten im Kreis saß und widerwillig darauf wartete, mit dem Erzählen an die Reihe zu kommen. Um ihn herum wurde ein langer Sermon aus Verkehrsunfällen, Krankschreibungen, Langzeitarbeitslosigkeit, Depressionen, Familienproblemen und gescheiterten Beziehungen erörtert. Mit jeder Geschichte fühlte Ninos sich niedergeschlagener. Er hatte noch nicht einmal Lust, mit seiner Familie oder gar seinen Freunden über den Unfall zu sprechen, und konnte sich nicht sonderlich mit der Idee anfreunden, seinen Text acht Personen vorzutragen, die allesamt aussahen, als hätten sie weitaus schwerwiegendere Probleme als er. Seine persönlichen Probleme waren nicht nach außen hin sichtbar, und es riefen ihn sowieso schon viel zu viele Menschen an, um mit ihm über seine Krankheit zu sprechen.
    »Mit Rehabilitation kenne ich mich besser aus als Sie«, hatte Rask mehrmals betont, sodass Ninos am Ende einmal mehr auf seinen Vorschlag eingehen musste.
    Plötzlich hörte er die Stimme der Gruppenleiterin: »Neno.« Mit einem imaginären Plumps wurde er auf seinen Stuhl zurückgeworfen. »Weil du heute neu bist, solltest du uns kurz erzählen, warum du hier bist und woran du gerade arbeitest«, sagte sie aufmunternd.
    Einen kurzen Moment lang begriff Ninos gar nichts. Er war doch gerade aus dem Grund hier, dass er nicht arbeitete. Dann fiel ihm ein, in welchem Zusammenhang Rask das Wort »arbeiten« verwendete, und öffnete seinen Mund, um zu antworten, obwohl er keine Ahnung hatte, was.
    Offenbar hatte er zu lange gezögert, denn aus dem Mann neben ihm brach ein Redeschwall heraus:
    »Nein, erst muss ich erzählen, entschuldige, wenn ich deine Redezeit stehle, aber ich kann nicht länger schweigen. Sonst platze ich.«
    Erschrocken drehte Ninos sich um. Ein Mann in den Fünfzigern mit einem großen Bierbauch fuchtelte mit den Händen und schob seinen Oberkörper nach vorn, in den Kreis hinein.
    »Die ganze Zeit habe ich Schmerzen, und niemand nimmt mich ernst. Jetzt habe ich wieder mit dem Trinken angefangen. Es wird ein böses Ende mit mir nehmen. Die Kinder reden nicht mehr mit mir. Ihr müsst mich dazu bringen aufzuhören.« Er brach in Tränen aus, woraufhin zwei andere Männer eilig von ihren Stühlen aufsprangen und von beiden Seiten ihre Arme um den Mann schlangen.
    Wie paralysiert blieb Ninos auf seinem Stuhl sitzen. Sein Therapienachbar tat ihm leid, gleichzeitig fürchtete er jedoch, die Umarmenden könnten sich auch ihm nähern.
    »Ja, so ist es gut«, sagte die Leiterin und nickte von ihrem Platz aus der anderen Hälfte des Kreises zu. »Das Weinen setzt vieles frei.«
    Mit einem pädagogischen Lächeln wandte sie sich wieder Ninos zu. »Vielleicht kannst du etwas beitragen, das Gunnar hilft, sich besser zu fühlen? Wir alle schöpfen Kraft daraus, zu hören, dass wir auf dieser Reise nicht allein sind, weißt du.«
    Alle drehten sich erwartungsvoll zu Ninos.
    NEIN. Ninos bekam einen Tunnelblick und sah plötzlich nur noch die Nasenlöcher der Gruppenleiterin und die rosaschimmernden Lippenstiftkrümel, die an ihrer Unterlippe klebten. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er von zwei kräftigen Händen zusammengedrückt, und das Atmen fiel ihm schwer. Er sog Luft ein, doch sie schien ihm trocken und gelblich wie das Neonlicht, vollkommen ohne Sauerstoff, und sein Schwindelgefühl nahm mit

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