Die Wohltaeter
niemandem darüber zu sprechen. Es könnte gefährlich sein. Dies ist eine Sekte, eine kranke, widerwärtige Sekte, und ich gehörte zu ihren Gründungsmitgliedern.« Sie sagte das alles in einem Atemzug. »Ich war eine der Ersten, ich habe die Ausbilder mitbegründet, die Führungsebene der HHH.«
Ninos runzelte die Stirn. Das Wort Ausbilder kannte er sonst aus anderen Zusammenhängen, er hoffte nicht, dass da ein Zusammenhang bestand.
»Aber was ist das Gefährliche daran? Wovor hast du Angst«, erkundigte sich Ninos.
»Wenn du willst, kannst du mich morgen zu Hause besuchen. Aber nur unter der Bedingung, dass du keine Fragen stellst. Ich erzähle dir, was ich will und kann. Dann sehen wir weiter.«
Yes. Ninos ballte eine Faust in der Luft. Er war auf dem richtigen Weg.
Als er einen Tag später die Treppe zu Ingrids Wohnung hinaufstieg, hatte er bereits angestrengt nachgedacht. Er wollte ihre Andeutungen verstehen, hoffte, dass die Einladung zum Essen ertragreich sein würde. Er hatte alles über Sekten gelesen, was er finden konnte, und gelernt, dass eigentlich jeder in die Fänge einer Sekte geraten und nur schwer wieder entkommen konnte. Unabhängig von Herkunft, Ausbildung und Intellekt. Manch einer schloss sich aus rein zufälligen Gründen einer Bewegung an und wurde, nachdem man alle Individualität zerstört hatte, zu einem treuen Mitglied gemacht. Sekten wurden oft von einem einzigen Führer beherrscht, der nie in Frage gestellt wurde und somit immer recht bekam. Ninos verstand, was er gelesen hatte. Wie das alles mit Altkleidern zusammenhing, wollte ihm jedoch nicht einleuchten.
Als er gerade die Hand hob, um zu klingeln, hörte er hinter der Tür Hundegebell. Er wurde wie von fremder Hand ein Stück zurückgeworfen. Sie besaß einen Hund. Und zwar einen großen. Ninos wich in den Fahrstuhl zurück und zog die Gittertür zu. Er hatte nicht vor, wieder nach unten zu fahren, wollte aber auch nicht von dem Hund gebissen werden, und das Gitter diente ihm als eine Art notdürftiger Schutz.
»Hallo, wo bist du denn?«, rief Ingrid mit gedämpfter Stimme in den Treppenaufgang hinaus.
»Du hast mir nicht erzählt, dass du einen Hund hast«, piepsteNinos ängstlich. »Ich kann leider nicht reinkommen, wir müssen in ein Restaurant gehen. Ich lade dich ein.« Er sprach schnell und einsilbig, um gleichzeitig seine Hundeangst in den Griff zu bekommen.
»Sei doch nicht albern. Gumman ist der freundlichste Hund der Welt, sie würde niemandem was Böses tun.« Ingrid stand vor ihm auf der anderen Seite des Gitters und lächelte mitleidig, als sie seinen improvisierten Schutzkäfig sah. »Komm schon.«
»Es spielt keine Rolle, was du behauptest. Ich werde nicht herauskommen. Der Hund tobt ja ununterbrochen.«
»Sie bellt, weil sie sich freut. Gumman hat gern Besuch. Schau nur – sie wedelt doch ganz fröhlich mit dem Schwanz!« Ingrid hielt den Hund neben sich am Halsband fest.
»Was hat denn der Schwanz damit zu tun? Du verstehst mich nicht. Ich kann nicht rauskommen.«
»Okay.« Sie zog den Hund rückwärts. »Beruhige dich. Wir sperren Gumman gleich in eines der Zimmer.«
»Ich komme erst heraus, wenn du damit fertig bist.« Ninos konnte sich vorstellen, was sie über ihn dachte, aber er vermochte nichts dagegen auszurichten.
Als Ingrid wiederkam, um ihn zu holen, sah er sie zum ersten Mal richtig an. Sie war eine elegante Dame um die sechzig, die ihn ein wenig an eine schwedische Schauspielerin erinnerte, deren Namen ihm nicht einfiel. Sie hatte einen breiten Mund, schwarze Augenbrauen und locker hochgesteckte graue Haare.
»Danke, dass du gekommen bist. Nachdem ich mich an den Gedanken gewöhnt hatte, habe ich mich richtig auf unser Treffen gefreut«, sagte sie lächelnd.
Widerstrebend betrat Ninos die Dreizimmerwohnung und hoffte, dass sich auf seinem Rücken keine Schweißflecken gebildet hatten, als er seine Jacke ablegte. Der Hund bellte mit wiedererlangter Lautstärke durch die Schlafzimmertür hindurch, und Ninos konnte das Kratzen der Pfoten an der Tür hören. Er summte ein wenig vor sich hin, um das Unbehagen zu mildern und das Geräusch auf Distanz zu halten. Steif ließ er sich auf dem Sofa im Wohnzimmer nieder. Die Möbel waren hell, und an den Wändenhingen fransige Webteppiche und afrikanische Masken. Es war für drei Personen gedeckt. Eine schmale, junge Frau mit markanten Gesichtszügen und langen, dunklen Haaren kam herein und stellte sich als Anna vor. Auf einem Beistelltisch
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