Die Wohltaeter
als ihn ein neuangekommener Verwandter aus dem Bett gedrängt hatte, weil die Schlafplätze im Haus wieder einmal nicht ausreichten. Die Verwandten waren Flüchtlinge, die man nach Schweden geschmuggelt und dort ausgerechnet in Ninos’ Kinderzimmer untergebracht hatte. So war es nun mal – das bedeutete kher. Man durfte sie nicht treten, egal, wie verschlafen man war.
Jetzt, in dieser Hölle, die vorgab, vor guten Taten nur so zu brodeln, überlegte Ninos, ob sein Großvater es gebilligt hätte, wenn er eine gute Tat vollbrächte, indem er einen der Chefs tätlich angriff. Es würde nicht gehen, auch wenn der Großvater zu ihm gehalten hätte, erkannte er und senkte seinen Kopf vor Chef-Stefan.
»Entschuldigen , ich wiedergutmachen. Beim Gesicht meiner Mutter, ich mache gut, ich schwöre.«
Stefan nickte zufrieden und ging weiter.
Ninos vertiefte sich in einen Sack mit übelriechenden Sandalen, die noch dazu auseinanderzufallen drohten. Plötzlich kam das Gefühl in ihm auf, er sei gescheitert. Vielleicht hätte er lieber in einem der Läden anheuern sollen, und sei es nur, um etwas mehr Tageslicht zu sehen und seine diversen Krankheiten nicht auch noch durch Asthma zu ergänzen. Nach drei Tagen hatte er zwar viel über harte Arbeit unter schlechten Bedingungen gelernt, aber darüber hatte sein großes Vorbild Wallraff wohl bereits berichtet. Seine Idee, HHH zu unterwandern, erschien ihm nicht länger so blendend.
Ninos warf einen Blick zu dem Büro, in dem Sverker ihn interviewt hatte. Wenn er daran vorbeiging, war es stets verschlossen. Auf dem Weg zur Mittagspause versuchte Ninos, in die anderen Räume hineinzuspähen, die zum Büro gehörten. Sie waren alle spartanisch eingerichtet, die Möbel sahen aus wie eine Spende der örtlichen Schule.
Eine hübsche, etwas mollige Frau um die dreißig mit südamerikanischem Aussehen scheuerte den Boden in der Halle. Sie sah Ninos an und lächelte ein wenig, er erwiderte ihr Lächeln.
Er holte sein mitgebrachtes Butterbrot, ging hinaus und setzte sich auf eine Bank neben dem Haupteingang in die Sonne. Draußen war es eiskalt, aber er wollte eine Weile ordentlich durchatmen können.
»Du bist neu hier, oder?« Es war die Latina, die den Boden gewischt hatte. Sie war ihm gefolgt.
»Ja, ich kein gut Schwedisch . Ich Ömer.« Er streckte ihr die Hand entgegen.
»Ich heiße Esmeralda. Darf ich mich zu dir setzen?«
Ninos nickte eifrig. »Esmeralda. Sähr scheene Name.« »Ich komme aus Chile. Und du?«
»Türkei«, antwortete Ninos auf Spanisch und war mit den Augen in ihrem Ausschnitt gelandet, den sie plötzlich etwas nach unten gezogen hatte. Beschämt sah er in eine andere Richtung.
»Hablas español?«, fragte sie und sah glücklich aus. Ninos nickte und probierte einige Höflichkeitsfloskeln aus, die ihm im Gedächtnis geblieben waren.
Dann erklang der Gong, der das Ende der Pause einläutete. Bevor er ging, fragte er sie, ob sie Lust habe, am nächsten Tag mit ihm mittagessen zu gehen. Er wollte sie in eines der Bistros in der Nähe einladen. Sie sagte ja und schien sich über die Einladung zu freuen.
Als er abends zu Hause in seiner Wohnung angekommen war, hielt Ninos es nicht länger aus. Er wurde schwach und duschte. Vielleicht würde er danach wenigstens schlafen können. Die vorherige Nacht hatte er nur schwer überstanden, von unruhigem Schlaf gebeutelt und seinem eigenen Gestank angeekelt, mit Schmerzen am ganzen Körper und Angst um seinen Nacken, der drohte, sich aus seiner Verankerung zu lösen. Er war irritiert über sich und sein unhygienisches Alter Ego, die beide bisher keinerlei Verbindung zwischen HHH und den Ausbildern aufgedeckt hatten. Außerdem kam er sich lächerlich vor; da hatte er sich so sehr um eine gelungene Verkleidung bemüht, und jetzt interessierte sich niemand dafür, wer er war.
Am nächsten Tag um zwölf ging er los, um Esmeralda amHauptgebäude abzuholen. Noch bevor sie sich begrüßt hatten, begann sie sich zu entschuldigen.
»Ich bin nicht fertig geworden, ich muss noch einen Raum staubsaugen und wischen, es tut mir so leid, aber sie werfen mich raus, wenn ich nicht nach Vorschrift arbeite. Meine Tochter war letzte Nacht krank, und ich bin heute morgen zu spät gekommen.«
»Kein Problem«, sagte Ninos. »Ich helfe, und dann können wir an Imbissbude essen.« Ninos griff sich einen Staubwedel vom Reinigungswagen, um seine Bereitwilligkeit zu demonstrieren.
»Nein, das geht nicht. Du musst in der
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