Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
hätte, mich so in Tränen aufgelöst zu sehen, aber ich kann nicht anders, ich hab dich so furchtbar gern gehabt, und du fehlst mir sehr. Es reicht ja schon mit meiner Mutter, Sandra und Fuensanta. Dumm, dass wir nicht die große Kleenex-Packung aus dem Wohnzimmer mitgenommen haben. Bestimmt wäre nach deiner Beerdigung nicht eins mehr übrig.
In letzter Zeit hast du noch so viel gelacht, und vermutlich würde es dir eher gefallen, wenn ich, statt wie ein Schlosshund zu heulen, dir jetzt mit einem Lächeln von deinem Fèlix erzählen würde. Was hattest du nur für einen Narren an dem Kätzchen gefressen. Als ich das meinen Studienkollegen erzählte, haben die sich ziemlich gewundert. Eine Oma von fünfundachtzig Jahren, besessen von einer Computerspielerei! Da sagte ich ihnen, dass meine Oma sehr wohl in der Lage sei, das eine oder andere über Informatik zu lernen, sie sei sehr intelligent und werde mit Sicherheit voll darauf abfahren, wenn es mir gelänge, dir ein bisschen was beizubringen. Und ich hab’s versucht, Oma, aber du wolltest nicht mehr, weil du dich hoffnungslos in deinen Fèlix verguckt hast, das hat dir vollkommen gereicht. Was sollten wir da machen.
Ich habe noch nie zuvor gesehen, wie jemand stirbt, und ich hoffe, dass das auch nicht so bald wieder der Fall seinwird. Auch wenn ich weiß, dass der Tod zum Leben dazugehört und wir alle mal sterben müssen, setzte mein Verstand aus, als ich gesehen habe, dass es mit dir zu Ende ging. In dem Augenblick kamen mir seltsamerweise keine Tränen. Und meine Mutter, die so nah am Wasser gebaut hat, weinte auch nicht. Es war merkwürdig, nur sie und ich saßen an deinem Bett, dein Tod kam ganz überraschend. Eine Stunde vorher hattest du angefangen, anders zu atmen. Bis es auf einmal so war, als hättest du dich bewusst entschieden, dass dies dein letzter Atemzug sein würde. Du hast an die Wand gestarrt, als würdest du die Entfernung vom Bett bis dorthin messen, noch einmal tief Luft geholt und dann … dann war alles aus. Mama und ich haben uns einen Moment lang angesehen und dann beide auf irgendein Zucken deines Körpers gewartet, das uns gezeigt hätte, dass noch Leben in ihm war. Aber da war nichts. Deine Augen standen offen und sahen aus wie aus Glas. Und da bin ich aufgestanden, habe sanft über deine Lider gestrichen und sie dir zugemacht.
Erst am Abend konnte ich weinen, in Danis Armen. Zu Hause ging das nicht, ich weiß, dass ich die Stütze der Familie bin, schon lange, und für Mama und Sandra stark sein musste. Von Papa kann man das ja nicht erwarten, mein Vater ist ein Windhund, und dein Tod hat ihn sowieso nicht sonderlich berührt. Aber das ist dir sicher egal. Ihr wart euch nie sympathisch, man konnte es dir an den Augen ablesen, was du von ihm gehalten hast. Als kleiner Junge hat mich das verletzt, damals bewunderte ich meinen Vater noch, wie alle Kinder waren meine Eltern für mich wahre Götter. Doch das ist seit einiger Zeit vorbei: Ich weiß, was er für einer ist. Ich weiß es seit jenem Tag, an dem ich inunserem Computer zufällig auf eine Website gestoßen bin, die er gespeichert und dann zu löschen versäumt hatte.
Das war, kurz bevor du zu uns gezogen bist. Ich musste ein paar Tage fort, um den Schock zu verdauen. Der Familie gegenüber behauptete ich, zu einem Freund in Frankreich zu fahren, doch in Wirklichkeit fuhr ich allein in die Berge. Ich war einfach sprachlos und musste nachdenken, ich wusste echt nicht, wie ich damit umgehen sollte.
Auf dieser Website, Oma, waren nämlich haufenweise Fotos mit Kinderpornografie zu sehen, nackte Mädchen von zwölf, dreizehn Jahren, denen Männer im Alter meines Vaters unfassbare Dinge antaten.
Wenn einem aufgeht, dass der eigene Vater auf so was steht, ist das nicht gerade angenehm, das kannst du mir glauben. Die zwei Tage in den Bergen waren furchtbar für mich. Damals kannte ich Dani noch nicht, der mich hätte trösten können, wie nur er es kann, ich war mir noch nicht im Klaren über meine Sexualität. Ich bin keine Kämpfernatur, Oma, kein Mensch, der mutig und entschlossen handelt, und doch überlegte ich mir, ob ich diesen Widerling von einem Vater anzeigen oder zumindest zu Hause ein Riesentheater veranstalten sollte, damit er auszog.
Und weißt du, was? Ich tat nichts davon. Ich beschloss, nach Hause zurückzukehren und mich darum zu kümmern, Sandreta vor dem finsteren Abgrund zu bewahren, der sich da in meiner Familie auftat. Ich schwor mir, ihr, so gut es ging,
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