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Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman

Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman

Titel: Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanca Busquets
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wie ein Philosoph zu sein hat, im Gegensatz zu der Lehrerin, die seinerzeit Dolors in dem Fach unterrichtete; die hatte nichts, aber auch rein gar nichts von einer Philosophin gehabt. Wahrscheinlich hatte sie Geisteswissenschaften studiert und sich dabei auf Literatur konzentriert.
    Schlagt eure Bücher auf, mit diesen Worten kam sie in die Klasse, und dann mussten sie die ganze Stunde die Nase in die Bücher stecken und versuchen, allein durchs Lesen die Lehren von Platon, Aristoteles, Sokrates undein paar wenigen anderen zu verstehen, denn viele der späteren Philosophen wurden ihnen damals vorenthalten. Sie wurden einfach totgeschwiegen, so als wären ihre Namen mit einem Tabu belegt, als gäbe es im Strom der Zeit ein schwarzes Loch, das sie allesamt verschluckt hatte. Erst viele Jahre später sollte sie von ihrer Existenz und immensen Bedeutung für die Geistesgeschichte erfahren. Und dabei hatte sie in ihrer Schulzeit noch Glück gehabt: Immerhin hatten Dolors’ Nonnen ihnen noch mehr beigebracht als die, die Leonor dreißig Jahre später unterrichteten. Kaum zu glauben, statt einen Schritt vor machte man damals zwei zurück. Von heute auf morgen war alles verboten und Sünde.
    Während sie wieder zu ihrem Sessel zurückhumpelt, muss Dolors schmunzeln, da ihr nun wieder ihre eigenen Sünden einfallen. Sie hat in ihrem Leben viele begangen, alle möglichen, sogar ein paar richtig schwere, für eine Tochter aus gutem Hause eigentlich undenkbare waren dabei gewesen. Wenn Leonor das wüsste, würde sie ihre alte Mutter sicher für ein Monstrum halten und augenblicklich rauswerfen.
    Aus dem Zimmer der Kleinen ist nur noch leises Getuschel zu hören. Dolors schlägt ihre Strickzeitschrift auf und beginnt zu blättern. Nach welchem Muster soll sie den Pullover bloß stricken? Oder soll sie eines abwandeln, so wie sie das früher auch manchmal getan hat? Ach, es gibt so viele schöne Modelle. Und erst die Farben   … Sanfte Naturtöne sind gerade wohl sehr beliebt, aber auch richtig leuchtende Farben, sodass sie sofort wieder diese unbändige Lust zu stricken verspürt.
    Das wird eine Tischdecke, nicht wahr? Das machen wir aber wirklich schön, Omi, hatte die Frau gesagt, die ihreTöchter ihr zweimal pro Woche zum Putzen geschickt hatten. Die Putze redete mit Dolors immer wie mit einem Kleinkind, sie hielt sie anscheinend für beschränkt. Und das bloß, weil sie nicht mehr so aufrecht laufen konnte wie sie selbst, eine Frau von rund sechzig Jahren. Deshalb hatte Dolors damals nur schroff erwidert: Das wird keine Tischdecke, sondern ein Schal für meinen Enkel; sehen Sie nicht, dass man den nicht auf einen Tisch legen kann?! Und außerdem möchte ich Sie bitten, mich nicht Omi, sondern Dolors zu nennen. In Ordnung, hatte die Frau daraufhin nur kleinlaut erwidert, und später hörte Dolors dann, wie sie am Telefon zu Leonor oder Teresa sagte, im Kopf ist sie noch überraschend klar, ihr braucht euch wirklich keine Sorgen um sie zu machen, eurer Mutter geht es gut, sehr gut sogar. Sehr gut, genau. Und ihren Haushalt hatte sie auch noch gut im Griff gehabt, bis   …
    Warum ziehst du nicht zu uns, Mama? Wir haben eine so große Wohnung   … Ach, was war das lange her, dass Leonor ihr das zum ersten Mal vorgeschlagen hatte. Von Teresa konnte so etwas ja nicht kommen, sie lebt in Madrid: Weißt du, dort wird die Politik gemacht, Mama, sagt sie immer, wenn Dolors sie fragt, was sie da eigentlich verloren hat. Jedenfalls hätte sie nie zu Teresa ziehen können. Zu Leonor schon, doch da hatte sie sich standhaft geweigert. Ich mache mir aber Sorgen, Mama, hatte ihre Jüngste ebenso starrköpfig entgegnet, eines Tages passiert dir was, und wir bekommen es nicht einmal mit. Komm, überleg’s dir, hatte sie wieder und wieder gedrängt, bis Dolors irgendwann der Geduldsfaden gerissen war und sie in einem unerklärlichen Anflug von Hochmut erklärt hatte: Jetzt ist es aber genug! Wenn ich schon sterben muss, dann hier in meinerWohnung, in der ich nun schon bald sechzig Jahre lebe. In meinem Alter mache ich, was
ich
will, und ich will nun mal hierbleiben, und damit basta! Natürlich war Leonor eingeschnappt gewesen, denn sie ist eine richtige Zimperliese. Keine Sorge, Mama, ich werde es dir nicht noch einmal vorschlagen, hatte sie mit Tränen in den Augen erwidert, das Thema ist für mich damit ein für alle Mal erledigt.
    Und dann das! Dolors schluckt tapfer, es fällt ihr nicht leicht, daran zu denken, und sie muss sich

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