Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
noch nie zuvor im Leben. Dolors stand nur schweigend dabei, denn ihr Verstand war nach Teresas Offenbarung wie gelähmt gewesen. Ihr Bekenntnis hatte sie allerdings nicht nur erschüttert, sondern auch ihre Neugier geweckt: Wie konnte das sein, dass Teresa in den Männern nur den Kameraden und nicht den Mann sah, so wie sie? Heilige Muttergottes, Teresa lesbisch, die eigene Tochter! Das häusliche Gewitter endete mit einem Blitzschlag, der die Bemühungen vieler Jahre zunichtemachte: Eduard warf Teresa hochkant hinaus.
Aber sie war ja ohnehin kaum noch zu Hause gewesen, und an den Wochenenden schon gar nicht. Zwar nahm Eduard sie jeden Sonntagabend ins Verhör, wo sie sich herumgetrieben habe, doch Teresa schwieg eisern, was ihren Vater stets noch mehr in Rage brachte. Das Kind entgleitet uns, seufzte er anschließend im Schlafzimmer, wenn wir nicht aufpassen, gerät es auf die schiefe Bahn. Jetzt mach aber mal halblang, hatte Dolors eingewandt, so schlimm wird es sicher nicht kommen. Du wirst schon sehen, hatte er nur düster erwidert.
Am Abend von Teresas Erklärung ihrer sexuellen Neigungen hatte Eduard Dolors dann angefaucht: Siehst du, ich hab’s dir ja gesagt, dass sie uns entgleitet, wir haben sie verloren, sie ist nicht mehr unsere Tochter. Das waren die letzten Worte gewesen, die er über Teresa verlor. Über Teresa, die eine Viertelstunde vorher die Wohnungstür hinter sich zugeknallt hatte, denn sie hatte natürlich auf Eduards großmütige Erlaubnis gepfiffen, noch eine Nacht zu Hause zu schlafen, da man zu dieser späten Stunde ja niemanden mehr auf die Straße setzen könne. Trotz allem wollte Eduardnämlich noch als barmherzige Seele dastehen, stolz, aber dennoch voller Verständnis für die Not anderer. Es war wirklich nicht zu fassen!
Aber er hatte dabei etwas Entscheidendes vergessen: Teresa war noch stolzer und starrsinniger als er. Genau darum hatte sie ihrem Vater auch das mit ihren sexuellen Vorlieben an den Kopf geworfen, denn sie wollte seinen Stolz verletzen, und sie wusste genau, dass sie ihm damit den Todesstoß versetzen würde. Dolors seufzt. Die beiden waren einfach einer wie der andere gewesen. Eduard war zwar ein Rechter gewesen und Teresa eine Linke, doch ihre politische Gesinnung spielte eigentlich keine Rolle, denn sie waren beide aus dem gleichen Holz geschnitzt, und jedes Mal, wenn Teresa sie besuchen kommt, glaubt sie, wieder Eduard vor sich zu sehen.
Ich habe nicht die geringste Absicht, hier noch zu übernachten, das habe ich absolut nicht nötig, hatte ihre Älteste an jenem Abend mit einem herablassenden Lächeln erklärt, war dann erhobenen Hauptes in ihr Zimmer stolziert und hatte ihre Sachen in eine Sporttasche gepackt, während Dolors sie vergebens zum Bleiben zu überreden versuchte, am helllichten Tag sähen die Dinge ganz anders aus und sie könnten dann ganz sicher noch einmal mit dem Vater darüber reden. Doch Teresa stopfte nur unbeirrbar ihren Schlafanzug, Hosen, Blusen und Unterwäsche in die Tasche, sagte zu ihrer Mutter, ich ruf dich an, bevor ich den Rest hole, gab ihr einen Kuss, streichelte ihre Wange und verschwand dann mit den Worten: Mach dir keine Sorgen, Mama, mach dir um mich bloß keine Sorgen.
In jener Nacht hatte Dolors ihren Mann auf Knien angefleht, er könne das Kind doch nicht auf der Straße stehenlassen. Aber Eduard hatte keine älteste Tochter mehr, er hatte sie verstoßen. Am Ende hatte sich Dolors deshalb vom Boden erhoben, hatte ihre Tränen abgewischt und resolut verkündet: Dann gehe ich eben mit ihr! Und da hatte Eduard ihr den grausamen, abgrundtief bösen Dolchstoß versetzt. Teuflisch hatte er aufgelacht: Du willst ihr hinterherlaufen? Mach dich nicht lächerlich, Dolors. Sie wird dich auf der Stelle heimschicken, weil sie ihren eigenen Weg gehen will.
Damit hatte Eduard leider recht, und so war Dolors geblieben. Nach dieser Szene herrschte zwischen ihnen jedoch Schweigen, ein tage-, wochenlanges Schweigen, das zur Demarkationslinie zwischen der Vergangenheit und der Zukunft wurde, zu einer unüberwindlichen Grenze. Irgendwann hatte Teresa dann noch ihre restlichen Sachen geholt, ich ziehe zu ein paar Freundinnen, Mama, hatte sie ihr erklärt, ich habe Arbeit gefunden und studiere nebenher, mach dir keine Sorgen, sobald ich Telefon habe, gebe ich dir meine Nummer.
Teresa und Eduard waren beide wirklich willensstark. In letzter Zeit denkt Dolors immer öfter, dass sie wohl Eduard statt Antoni gewählt hatte, weil er einen so
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