Die Wundärztin
Menschen verändern. Zum Glück aber gab es Kleinigkeiten, die gleich blieben. Am Geruch etwa hätte sie ihr Kind immer wiedererkannt. Der hatte sich nicht verändert. Am liebsten wühlte sie die Nase in das rotblonde Haar, schnupperte hinter den Ohren und an den Wangen entlang. Genug bekam sie davon noch lange nicht, genauso wenig, wie sie nicht müde wurde, ihre Tochter anzusehen.
»Hast du Angst vor Feuer?«, fragte Carlotta und blickte Magdalena neugierig an. Zwischen den kurzen Fingern drehte sie den Bernstein, den Magdalena ihr am Morgen um den Hals gebunden hatte. Schließlich hielt sie ihn nah vor ein Auge, um ihn mit zusammengekniffenen Lidern aufmerksam im Licht der untergehenden Sonne zu untersuchen. »Musst du nie haben. Ich pass jetzt auf dich auf. Und der Stein hier beschützt mich mein Leben lang.« Gebannt starrte sie auf das schwarze Tier, das für alle Ewigkeit in dem goldenen Bernstein gefangen war.
»Mir hat er immer wieder das Leben gerettet«, sagte Magdalena. »Und geholfen, deinen Vater wiederzufinden.«
»Wollen wir hoffen, dass das in Zukunft nicht mehr nötig ist.« Eine große Hand legte sich ihr auf die Schultern. Eric stand neben ihr. Sie hatte ihn nicht kommen hören. Der Lehmboden hatte seine Schritte verschluckt. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel, schon zuckten sie in der vertrauten Weise. Auch die beiden altbekannten Falten oberhalb der Nasenwurzel waren im schwindenden Tageslicht noch gut auszumachen. Er streckte die Hand aus, um ihr von der Bank aufzuhelfen. Das Zittern war nicht zu übersehen. Da erst bemerkte sie, dass sein Lächeln weitaus unsicherer war, als sie zuerst gemeint hatte.
Unterdessen jauchzte Carlotta vor Freude. Schwungvoll sprang sie auf und hüpfte auf einem Bein zum Haus. Magdalena und Eric sahen ihr nach. Die Kleine hatte die Türschwelle schon erreicht, als ihr auffiel, dass die beiden nicht folgten. Winkend drehte sie sich um und rief: »Kommt endlich!«
Vorsichtig hob Eric den Arm. Magdalena zögerte, dann gab sie sich einen Ruck und nahm ihn an der Hand. Sie war eiskalt. Sie hob den Blick und lächelte ihm zu. Erst da huschte ein Leuchten über sein Gesicht, dem das vertraute Zucken um die Mundwinkel folgte. Erleichtert lehnte sie den Kopf an seine Schultern.
»Wie gut, dass ich dich nicht mehr suchen muss.«
Eng aneinandergeschmiegt schlenderten sie zu ihrem Kind.
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Epilog
Frankfurt am Main
Mai 1651
D as Päckchen, das der Bote gebracht hatte, war nicht sonderlich groß. Dafür schien es umso schwerer. Abschätzend wog Magdalena es in der Hand und fragte sich, was wohl darin sein mochte. Nachdenklich ging sie zu dem langen Tisch, der mitten in Erics Kontor stand, und rückte sich den schweren Armlehnstuhl zurecht. Das Päckchen drapierte sie genau vor sich. Aufmerksam betrachtete sie es von allen Seiten. Auf dem braunen Papier, in das es eingeschlagen war, fand sich weder ein Hinweis auf den Absender noch auf den Inhalt. Der Bote hatte auch nicht verraten wollen, wer ihn geschickt hatte.
Das Päckchen musste von weit her kommen. Offensichtlich war es durch viele Hände gegangen. Vorsichtig begann sie, es zu öffnen. Der Knoten an dem Band, mit dem es einmal längs und einmal quer verschnürt worden war, ließ sich nicht so leicht auflösen. Magdalena stand auf und suchte am Stehpult vor dem rechten Fenster nach einer Schere. Wie immer hatte Eric das Pult akribisch aufgeräumt. Sie schmunzelte. Dass Eric so viel Wert auf Ordnung hielt, lag wohl daran, dass er im Tross seinem Empfinden nach in ständiger Unordnung gelebt hatte. Nicht einmal auf Bertas Gehöft schien es anders für ihn gewesen zu sein. Wie hatte er gestrahlt, als sie im letzten Jahr in diesem Haus nahe der Frankfurter Fahrgasse endlich ein eigenes Zuhause gefunden hatten!
Gedankenverloren strich Magdalena mit den Fingerspitzen über das sonnenwarme Holz des Pults, bevor sie die Schere aus der Schublade nahm. Prüfend wanderte ihr Blick durch das holzgetäfelte Kontor. Die drei hohen Fenster zur Straße ließen gelbliches Licht herein. Der Tag neigte sich bereits dem Ende und verströmte mildes Licht. In den schräg einfallenden Strahlen tanzten die Staubkörner. Der zarte Geruch nach Flieder, der seit Tagen durch das Haus zog, verriet den endgültigen Frühlingsanbruch. Ein eigenes Zuhause! Sie musste sich an den Gedanken, in dem dreistöckigen Gebäude unweit des Mains mehr als nur ein vorübergehendes Quartier zu sehen, allerdings noch gewöhnen. Selbst nach über
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