Die Wundärztin
nach Bayern alle Verbindungen abgeschnitten. Doch jetzt sieht es auf einmal wieder so aus, als könnte selbst vor dem Winter noch was gehen. Eric juckt es in den Fingern, endlich loszuziehen und etwas zu tun. Noch ist das Wetter mild, noch kann er umherreisen und Ware auftreiben. Ein Mann wie er ist schließlich nicht dazu gemacht, in der Stube zu versauern.«
Sie lachte ein kehliges Lachen, das die Runzeln auf ihrem wettergegerbten Gesicht aufspringen ließ. Ein Mund voller fauler Zahnstümpfe wurde sichtbar, woran sich Berta nicht im Geringsten zu stören schien. Magdalena zuckte unwillkürlich zusammen, was Berta wohl sogleich richtig deutete. Sie beugte sich vor und tätschelte ihr den Arm. »Zum Glück bist du jetzt da. Eric wollte nicht los, bevor er nicht herausgefunden hat, wo du stecken könntest. Aber das lange Warten hat ihm nicht gutgetan. Was wird er Augen machen, wenn er dich sieht!«
Sie rieb sich die Hände, als könne sie seine Rückkehr dadurch beschleunigen. Die viel zu trockene Haut knisterte. Magdalena spürte, wie sie ruhiger wurde. Etwas an Bertas Worten ließ sie hoffen, mit Eric zumindest Frieden schließen zu können. Carlotta würde er ihr also nicht wegnehmen wollen. Warum sonst suchte er nach ihr, wenn nicht, um sie und ihr Kind zusammenzubringen? Abermals fühlte sie Bertas Hand über ihren Arm streichen. Sie legte ihre zweite Hand darauf. Bertas Haut war spröde. Sie beschloss, ihr nachher einen Balsam aus Ringelblume und Kamille, versetzt mit etwas Talg und Rosenöl, zu bereiten. Das würde die rissige Haut geschmeidiger machen. Auch zu den Zähnen würde ihr etwas einfallen. Meister Johann hatte auch immer viel auf Zahnpflege geachtet. Wenn sie sich besann, erinnerte sie sich bestimmt wieder daran. Sie lächelte zuversichtlich. Obwohl noch keine Stunde vergangen war, seit sie den Hof betreten hatte, fühlte sie sich bei Berta bereits wohl. Endlich hatte sie das Gefühl, angekommen zu sein.
Ihr Blick streifte Carlotta. Inzwischen spielte die Kleine auf dem Boden mit einem getigerten Kätzchen. Es musste aus dem Korb neben dem Ofen gekrochen sein. Die beiden kannten sich offenbar gut. Das Kätzchen schnurrte wohlig und rieb seinen Kopf an Carlottas Knie. Die Kleine würde auch bald ihre Scheu überwinden. Noch wollte Magdalena sie nicht mit ihrer Zuneigung bedrängen. Carlotta war erst dreieinhalb. Es würde Zeit brauchen, bis sie verstand, was geschehen war.
»Vergiss nicht zu essen.« Mahnend rückte Berta die Schüssel zurecht. »Siehst aus, als könntest du ein bisschen mehr Speck auf den Rippen vertragen. Wir haben genug. Bei uns wird es dir an nichts fehlen.«
Auch für Berta stand also fest, dass sie vorerst bleiben sollte. Sie dankte mit einem stummen Nicken. Draußen wurde Hundegebell laut. »Papa!« Jauchzend klatschte Carlotta in die Hände und hüpfte zur Tür. Erschrocken flüchtete das Kätzchen in den Korb. Magdalena spürte, wie ihr Körper abermals zu beben begann. Schon kroch die Kälte wieder über Hände und Füße hinauf.
»Eric ist also zurück.« Berta lächelte ihr aufmunternd zu. »Komm, gehen wir gemeinsam zu ihm, damit er sich nicht allzu sehr erschrickt, weil Carlotta ihm seltsame Geschichten auftischt. Das Flunkern hat es ihr angetan. Das beherrscht sie wie nichts anderes.«
Wieder nahm sie Magdalena an der Hand und ging mit ihr hinaus. Kaum traten sie aus der Tür, hörten sie bereits, wie Eric Carlotta liebevoll zurechtwies: »Erzähl mir nicht immerzu solche Geschichten. Wenn du zu viel lügst, dann glaube ich dir eines Tages gar nichts mehr.«
»Ich lüge aber nicht!« Die Kleine stampfte mit dem Fuß auf und sah gleichzeitig bittend zu ihrem Vater hoch. Zwar hatte er sich vorgebeugt, dennoch reichte ihm Carlotta nicht einmal bis zur Hüfte. Entschlossen packte er sie um den zierlichen Leib und hob sie hoch. Sofort schlang Carlotta die Arme um seinen Hals und schmiegte sich an ihn.
Ein Schauer überlief Magdalena. Sie wagte nicht zu atmen. In den letzten Jahren hatte sie sich unzählige Male dieses Bild ausgemalt, dennoch konnte sie nicht fassen, es jetzt tatsächlich vor Augen zu haben. Es war also endlich wahr: Carlotta und Eric standen vor ihr! Wie er die Kleine herzte und liebkoste, ließ alle Zweifel verfliegen. Eric war ihrer Liebe wert. Sie hatte damals das Richtige getan, als sie ihn vor Seume gerettet hatte. Kurz sandte sie ein Dankgebet an Roswitha, wo immer ihre arme Seele gerade stecken mochte. Die alte Hebamme hatte recht getan, sie
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